Die letzten Tage von Hongkong
Wasser.
»Das ist mein berüchtigter Schwager von der Polizei«, sagte Wong, als er ihn sah. »Charlie Chan, darf ich dir Emily Ping vorstellen.« Chan lächelte die berühmte Chinesin bemüht an, die ihm einmal zuzwinkerte und ihm die Hand hinstreckte. »Schön, Sie kennenzulernen.«
Chan sah sich in der Küche nach ihrem blonden Freund um, aber abgesehen von dem philippinischen Hausmädchen befanden sich nur Chinesen in dem Raum. »Hi. Hören Sie …«
»Wie faszinierend, einen Anwalt und einen Polizisten in derselben Familie zu haben«, sagte Emily Ping. »Worüber unterhaltet ihr euch da immer?«
Sie war groß für eine Chinesin, fast einssiebzig, aber sie wäre überall aufgefallen, egal, wie groß sie war. Die schwarzen Haare hatte sie aus der hohen Stirn gekämmt, und das silberfarbene Kleid war vorne fast so weit ausgeschnitten wie hinten. Dabei kamen zwei elfenbeinfarbene Rundungen zum Vorschein, die Chans Blick magisch anzogen. Sie hielt sich kerzengerade und hatte ein Kinn, an dem man eine chinesische Laterne hätte aufhängen können. Eher der Rambo-Typ als die kleine Hure, dachte Chan. Sie war älter, als er sie vorhin in dem Zimmer geschätzt hatte – Mitte bis Ende Dreißig, und ihre Vergangenheit bestand aus Geld und Macht: Nur die sehr Reichen waren so schamlos. Sie sah ihn einen Augenblick mit einem Schimmer von Lust in den Augen an und lächelte dann. Und was war mit dem blonden Jungen? Hatte sie den vernascht und schon wieder vergessen?
»Ach, er hat immer alle interessanten Fälle. Wir unterhalten uns nur über seine Arbeit, die meine ist todlangweilig.« Wong sprach Englisch mit makellosem Oxford-Akzent. Er tat so, als bemerke er Emilys schamlosen Blick nicht.
»Und woran arbeiten Sie im Moment?« fragte Emily Chan.
»An den Fleischwolfmorden. Vielleicht haben Sie darüber gelesen. Drei Menschen wurden bei lebendigem Leib durch einen Industriefleischwolf gedreht.«
Emily war hart. Sie blinzelte nur kurz und lächelte sofort wieder. »Wie interessant. Ja, ich erinnere mich. Das war in Mongkok, stimmt’s?«
»Wo sonst?«
»Und – haben Sie den Fall schon gelöst?«
Gegen seinen Willen fühlte er sich von ihrem Selbstbewußtsein angezogen. Mit einer geschmeidigen Bewegung holte er eine Packung Benson and Hedges aus seiner Tasche, klappte sie auf, klopfte damit auf seine linke Handfläche, zog die Zigarette mit dem Mund heraus und zündete sie sich mit dem Feuerzeug an, das er bereits in der anderen Hand hielt. Er machte das nicht zum erstenmal, das sah man. Dann schaute er in diese furchtlosen chinesischen Augen. Zu seiner Überraschung wirkten sie aufrichtig interessiert.
»Nein. Wir wissen noch nicht einmal, wer die Opfer sind. Wir haben keine Fingerabdrücke und keine Ausweise, nichts, was uns weiterhelfen könnte. Man hat sie zerhäckselt. Wir haben bloß einen Bottich voll mit menschlichem Hackfleisch.« Er erwähnte nichts von den Köpfen, weil die Öffentlichkeit vorerst nichts davon erfahren sollte.
Die anderen Leute in der Küche spitzten die Ohren. Alle zuckten zusammen und gaben entsetzte Laute von sich, nur Emily Ping nicht. Sein Versuch zu provozieren amüsierte sie. Vielleicht mochte sie auch blutrünstige Geschichten. Die Reichen hatten bisweilen einen absonderlichen Geschmack.
Chan wandte sich Jenny zu und zog sie in eine Ecke. »Tut mir leid, ich muß gehen.« Er sprach Kantonesisch, ein wenig zu laut, damit sie ihm zuhörte.
Sie verzog das Gesicht. »Ist es wirklich so schlimm? Jonathan hat die ganzen Leute hier einladen müssen – weißt du, das ist gut fürs Geschäft. Du bist mein einziger echter Gast.«
»Das glaube ich dir nicht. Sie himmeln dich alle an, und du bist die perfekte Gastgeberin. Es liegt bloß an mir, stimmt’s? Ich bin mir sicher, daß diese Leute alle toll, wunderbar, warmherzig, bescheiden sind – richtige Milliardäre eben.«
Jenny sah ihn mit flehendem Blick an. »Bitte geh noch nicht. Ich würde mich gern mit dir zurückziehen und mit dir reden – ich habe Neuigkeiten.«
In ihrem Blick lag so etwas wie Bewunderung. Er bemerkte Wong, der sie beobachtete, und sein Gesichtsausdruck sagte: Mich siehst du nie so an.
»Na schön.«
Chan folgte ihr zu dem Flur und dem Raum, in dem vor kurzem die Verführung des blonden jungen Mannes stattgefunden hatte. Chan nahm noch einen letzten Hauch von Parfüm und Sex wahr und erzählte Jenny von der Geschichte, als sie zusammen das Schlafzimmer betraten.
»Sie kriegt nie genug. Ich schließe mal
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