Die letzten Tage von Hongkong
hatte sie überredet, an einem Schönheitswettbewerb teilzunehmen. Es war schon erstaunlich, wieviel Ansehen so ein Titel mit sich bringen konnte: Miss Hongkong. Die reichen Verehrer hätten ein ganzes Haus gefüllt. Allerdings waren Jennys Ansicht nach nicht alle geeignet gewesen; Wong hatte zu den attraktivsten gehört.
Sie war jetzt in Sicherheit; selbst wenn die Ehe nicht funktionierte, würde sie ihr Anteil an Wongs Vermögen schützen. Chan war noch immer stolz auf diesen Schachzug. Wäre die Ehe mit einem Armen weniger aufregend gewesen?
»Na schön, er war ein guter Fang, und du hast den chinesischen Patriarchen gespielt. Aber jetzt hab’ ich wirklich Neuigkeiten für dich. Wahrscheinlich bin ich schwanger.«
»Hurra.«
»Das richtige Wort, aber es steckt nicht viel Gefühl dahinter. Freust du dich nun oder nicht?«
»Natürlich freue ich mich.«
»Und du wirst der Patenonkel.«
»Ich fühle mich geehrt.«
»Zusätzlich zu den üblichen Pflichten wirst du dafür sorgen, daß das Kind zu einem richtigen Menschen heranwächst. Wenn es herumstolziert wie die Ärsche da draußen, kriegst du Ärger mit mir.«
»Einverstanden. Ich werde also den Straßenbullen spielen für das Kind. Und die Wochenenden verbringen wir im Leichenschauhaus.«
Sie gab ihm lächelnd einen Kuß und hielt seine Arme fest, während sie ihm in die Augen schaute. Er wollte sich ihrer Umarmung entwinden, doch sie hielt ihn fest. Sie trug keine Perlen, überhaupt keinen Schmuck. Einen solchen Nacken konnte man nicht verschönern.
»Keiner hält den Vergleich mit dir aus«, flüsterte sie ihm zu, bevor er sie daran hindern konnte.
Er verwarnte sie mit dem Finger, gab ein mißbilligendes Geräusch von sich, schloß die Tür wieder auf und ließ Jenny zuerst hinaus. Sie führte ihn über den Flur zu dem riesigen Empfangszimmer zurück, in dem jetzt noch mehr Leute standen als vorher.
»Du hast mir noch nicht mal deine neue Freundin vorgestellt«, sagte Jenny.
Chan reckte den Hals, um Angie zu suchen. Endlich sah er sie mit dem blonden jungen Mann sprechen, der jetzt voll bekleidet war. »Sie ist nicht meine Freundin. Das ist der erste Abend – ich meine, sie ist eine Kollegin.«
Jenny lächelte. »Ich freue mich für dich. Hoffentlich bringt sie dich dazu, mit dem Rauchen aufzuhören.«
Chan strich sich die Haare aus dem Gesicht. »So ernst ist es nicht.«
Er sah, wie Angie etwas zu dem jungen Mann sagte, ohne den Blick von Chan zu wenden. Der blonde Junge verabschiedete sich von ihr, bevor Chan sich zu ihnen gesellen konnte. Schade, dachte Chan, sie schienen sich gut zu verstehen. Auch der Junge sah aus wie ein Australier.
»Jetzt können wir gehen«, sagte Chan zu Angie, und plötzlich wurde er nervös. Es war lange her, daß er in seiner Freizeit mit einer Nichtasiatin allein gewesen war.
ZWÖLF
Drei Stunden später stand Chan zusammen mit Angie vor dem Bull and Bear in der Taxischlange. Es war fast Mitternacht und immer noch so heiß wie in der Sauna. In der Kneipe hatte sie sich sofort wohl gefühlt und stundenlang geredet. Er hatte fast alles, was sie gesagt hatte, wieder vergessen. Etwas von ihrer Familie und Australien und dazwischen immer wieder Sportanekdoten, die mit zunehmendem Alkoholkonsum derber geworden waren. Offenbar hatte sie Heimweh.
Er hatte noch nie eine Frau erlebt, die so viel Bier trinken konnte. Es war etwas fast schon Professionelles an der Art und Weise, wie sie es kippte; sie vertrug den Alkohol ziemlich gut, nur auf der Treppe der Kneipe begann sie einen kurzen Moment zu schwanken und wäre beinahe hingefallen. Jetzt stand sie ganz dicht neben ihm. Eine Andeutung hatte sich, ohne daß er etwas dazu beigetragen hätte, zu einer Überzeugung verfestigt. Er wollte sie nicht verletzen. Wie sollte er ihr erklären, daß er einfach zu chinesisch war, um mit einer Frau bereits am ersten Abend ins Bett zu gehen? Und daß er ihre Betrunkenheit widerlich fand, auch noch am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts? Und daß die Größe seiner Wohnung auf eine chinesische Geliebte zugeschnitten war?
Die Hand, die seinen Arm streichelte, gab plötzlich auf.
»Du nimmst mich nicht mit zu dir, stimmt’s?« Chan wußte es zu schätzen, daß sie sich bemühte, deutlich zu sprechen.
»Nein.«
Sie drehte sich um und legte ihm die Arme um den Hals.
»Warum nicht?« Er spürte das Gewicht ihres schweren Busens auf seiner Brust.
»Ich kann nicht.«
»Warum nicht? Hast du die Sache mit Sandra immer noch nicht
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