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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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neueren, ebenso gewalttätigen Vergangenheit nicht fertig wurden.
    Chan schaltete wieder zu den Mönchen von Shao Lin zurück. Er selbst hatte seine Karatephase schon hinter sich. Den Körper so weit zu trainieren, daß er der Schwerkraft trotzen konnte, gehörte zu den Träumen eines jeden asiatischen Jungen. Chan zündete sich noch eine Zigarette an, hustete und überlegte, was er mit Moira anfangen sollte.
    Sie war erst die zweite Nichtasiatin, auf die er sich eingelassen hatte, deshalb drängten sich Vergleiche auf. Er fragte sich, ob er das, was er in der Zeit mit Sandra gelernt hatte, so ohne weiteres auf eine Amerikanerin übertragen konnte. Wenn er an seine englische Frau dachte, fielen ihm als erstes ihre Klagen ein. Sie unterschied sich sehr von einer chinesischen Ehefrau: Das Problem schien nicht in einem Mangel an materiellen Besitztümern oder gesellschaftlichem Status zu liegen. Sandras Klagen gründeten vielmehr in hohen moralischen Ansprüchen. Hongkong war oberflächlich, materialistisch, gierig und unmenschlich, sagte sie. Daraus schloß Chan, daß die Britischen Inseln eine Festung seelischer Tiefe, moralischen Mutes und warmherziger Menschlichkeit waren. Also machte er sich daran, mehr zu verstehen, das Wissen und den geschichtlichen Hintergrund seiner Frau zu nutzen. Dabei stellte er fest, daß sie einen lebhaften Geist besaß, der leichtfüßig die Kluft zwischen englischer und amerikanischer Kultur übersprang. In verschiedenen Stimmungen verwendete sie verschiedene Stimmlagen und unterschiedliche Akzente.
    Eine komische kleine Stimme benutzte sie, wenn sie sagen wollte, daß sie jemanden mochte. Chan fragte sich, warum sie ihre Liebe nicht in ihrer eigenen Stimme ausdrücken konnte, lernte aber, damit zu leben. Eines falschen New Yorker Akzents bediente sie sich, wenn sie energisch sein wollte, und eines britischen Oberschichtakzents, wenn sie glaubte, unfein zu sein.
    Schließlich führten, völlig unerwartet für ihn, die Videos das Ende herbei. Er war Mitglied in einer Videothek geworden, hauptsächlich deshalb, weil er gegen das Heimweh angehen wollte, über das sie sich von Zeit zu Zeit beklagte. Sie hatte voller Begeisterung darauf reagiert und sich hauptsächlich alte Bänder englischer Comedy-Shows mit satirischer, selbstironischer Ausrichtung ausgeliehen. Als er dann Nacht für Nacht bei ihr saß und sie zusammen mit ihr anschaute, wurde ihm allmählich klar, woher ihre Stimmen kamen. Nicht nur ihre Stimmen, sondern auch ihre Ansichten, ihre moralische Einstellung, sogar ihre Verachtung für Hongkong – sie waren nichts anderes als wiedergekäute Dokumentarfilme der BBC. Offenbar verbrachten die Engländer in ihrem feuchten, kalten Klima Stunde um Stunde vor dem Fernseher und ließen sich mehr oder minder subtil sagen, was sie denken und wie sie sich verhalten sollten. Er war verheiratet mit einer Collage aus »Monty Python«, »Spitting Image«, »Black Adder«, »Not The Nine O’Clock News« und ähnlichen Shows.
    Zu Beginn ihrer Ehe war sie strikt antirassistisch gewesen. Chan hatte sich manchmal Sorgen darüber gemacht, daß sie ihn vielleicht nur aus übertriebener politischer Korrektheit geheiratet hatte. Doch dann waren da immer wieder merkwürdige Schimpfwörter aufgetaucht wie Stacheldraht aus dem Schnee. Die englische Vorliebe für Ironie war stark ausgeprägt und umfaßte die ganze Welt: Franzosen waren Froschfresser, Deutsche Krauts, Skandinavier Leierkastenmänner, Italiener und Griechen Kanaken, Chinesen und Japaner Schlitzaugen. Verbarg sich etwa hinter all den Fernsehsendungen ein niederträchtiges kleines Volk?
    Chan hatte auf der Suche nach der Frau, die er geheiratet hatte, weiter nachgebohrt. Sie wiederholte politische Meinungen wortwörtlich aus dem Guardian und feministische Schlagworte direkt aus Cosmopolitan. Sogar ihre vegetarische Ernährungsweise war nicht echt. Sie aß winzige Gemüseportionen, um nicht zuzunehmen, doch als sie entdeckte, wie gut die kantonesische gebratene Ente schmeckte, stibitzte sie mit einem kleinen, verlegenen Lächeln Happen von Chans Teller. Wenn er sie fragte (sie nannte das Kreuzverhör), hatte er den Eindruck, daß sie aus kaum etwas anderem bestand als Lust auf Sex, Marihuana und griechischen Joghurt; dazu kam dann noch ein wenig spezifischer Haß, der sich ohne Vorwarnung gegen alles richten konnte, meist jedoch gegen die Männer und den Kapitalismus. Schluchzend beschuldigte sie ihn dann der Frauenfeindlichkeit und des

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