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Die letzten Tage von Hongkong

Die letzten Tage von Hongkong

Titel: Die letzten Tage von Hongkong Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burdett
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Bewährungshelfer sagt, das ist weit verbreitet, ein psychologischer Reflex. Menschen, die ihr ganzes Leben an einem strengen Vorbild ausgerichtet haben, machen nach einer traumatischen Erfahrung oft eine Hundertachtzig-Grad-Wendung. Dann verhalten sie sich genau so wie die Menschen, die sie früher immer verachtet haben. Als Katholikin kann ich nicht umhin, das als Bestrafung für meinen Hochmut zu verstehen. Heute jedenfalls verachte ich niemanden mehr, wie ich damals Mario verachtet habe. Außerdem habe ich angefangen, immer öfter zu lügen, um die unterschiedlichsten Dinge zu kaschieren. Ich habe mir immer gewünscht, daß sie Soziologie studiert, sich für Menschen interessiert. Als Polizist denkt man so oft, daß es doch eine bessere Methode geben müßte, den Menschen zu helfen, als sie einzusperren – denkst du das auch manchmal?«
    Chan nahm einen Zug aus seiner Zigarette. »Und du hast nichts mehr von ihr gehört, seit sie mit dem Geld bei dir war?«
    Moira schüttelte den Kopf. »Nein. Kein Wort. Ich kann dir nicht weiterhelfen, Chief Inspector, weil ich selbst nicht mehr weiß. Wahrscheinlich bist du ganz schön froh, daß du mich morgen los wirst, was?«
    Chan nahm ihre Hand und sah ihr in die Augen. Dann fiel ihm wieder ein, daß die Leute aus dem Westen die Direktheit als Tugend betrachten. »Ich habe einen Ständer«, sagte er.

DREIUNDZWANZIG
    Chan hätte liebend gern erfahren, ob die Taucher an dem Ort, wo er den Koffer gesehen hatte, etwas entdeckt hatten, aber er widerstand der Versuchung, Higgins anzurufen. Es war Sonntag, und Moiras Flugzeug würde am frühen Morgen des nächsten Tages starten. Er lud sie zum Frühstück in ein großes Hotel im Central District ein und schlug dann vor, daß sie einen Tag und eine Nacht im Grand Hyatt verbringen sollten, weil Chans Wohnung nicht für die ständige Anwesenheit Erwachsener geschaffen war. Moira stimmte unter der Bedingung zu, die Hälfte der Rechnung bezahlen zu dürfen.
    Das Grand Hyatt war dem Rom der Renaissance nachempfunden. Marmorsäulen erhoben sich an zwei Zwischengeschossen vorbei zu einer ebenfalls marmornen Kuppel. In der Mitte befand sich ein Marmorbrunnen, und ein Marmorboden führte zur marmornen Rezeption. Kleinere und größere Amorfiguren aus Bronze hielten Seidenlampenschirme, und auf allen Regalen tummelten sich Statuetten. Chan und Moira nahmen eine Suite. Sie verbrachten den Tag wie ein glückliches Liebespaar und gingen am frühen Abend in dem Swimmingpool mit Blick auf den Hafen zum Schwimmen. Chan sagte, er komme sich vor wie in einer Cognac-Werbung. Das Abendessen nahmen sie in dem italienischen Restaurant im zweiten Stock ein, verzichteten jedoch aufs Dessert, um schneller wieder ins Zimmer zu kommen.
    »Es macht Spaß, wieder sechzehn zu sein«, sagte Chan.
    »Besonders mir. Ich glaube, beim erstenmal hab’ ich’s verpaßt.«
    Sie verhehlte ihm ihre Begeisterung für seinen schlanken Körper nicht. Und für ihn stellte sie die Verkörperung der Sinnlichkeit und der vollkommenen Hingabe dar. Nichts trägt mehr dazu bei, eine Erektion aufrechtzuerhalten, als das ständige Lob der Geliebten. Die Nacht verging viel zu schnell.
    Am Flughafen verriet ihn nur das Zucken im Gesicht. Sie achteten darauf, einander kein baldiges Wiedersehen zu versprechen. Oder überhaupt ein Wiedersehen. Doch als Chan wieder im Taxi zurück nach Mongkok saß, trug er ihr Bild im Herzen: ihre üppigen Brüste und ihre langen Beine, die ihn fest umklammert hielten; am stärksten jedoch empfand er ein für ihn völlig neues Gefühl – das einer Zuneigung, die nicht ständig hinterfragte. Und das bei einer Frau aus dem Westen. Mit einer Frau zu schlafen, die einen in- und auswendig kennt und alles verzeiht, war viel besser, als sich von einer übellaunigen Vegetarierin als Frauenfeind beschimpfen zu lassen. Er spürte immer noch ihre starken amerikanischen Hände, die sie ihm auf den Hintern gelegt hatte, bevor sie hinter den Sicherheitskontrollen verschwunden war.
    In Mongkok warf er einen Blick auf die Uhr. Montag, zehn Uhr morgens. Er mußte erst nachmittags ins Büro, aber er beschloß, Higgins anzurufen, sobald er wieder in seiner Wohnung war. Als er im zehnten Stock den Flur zu seiner Wohnung entlangging, sagte ihm sein Instinkt, daß etwas nicht stimmte. Ruhe: Es war, als wäre das gesamte Stockwerk evakuiert worden.
    Er konnte keinen Schaden an den drei Schlössern seiner Tür feststellen, versuchte aber, sich an die besten Karatemanöver

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