Die letzten Tage von Pompeji
Recht gut erinnere ich mich noch, wie mein Vater von einem sonderbaren Mann sprach, der vor vielen Jahren nach Athen kam; ich glaube, er hieß Paulus. Mein Vater stand inmitten eines gewaltigen Haufens, der sich um einen unserer unsterblichen Hügel gesammelt hatte, um diesen Weisen des Morgenlandes lehren zu hören. Auf dem weiten Raum ließ sich auch nicht das mindeste Geflüster vernehmen! Das Scherzen und das Geschrei, womit unsere heimathlichen Redner aufgenommen wurden, war vor ihm verstummt, und als dieser geheimnisvolle Gast auf dem höchsten Gipfel jener Anhöhe, hoch erhaben über der athemlosen Menge, da stund, flößten seine Haltung und Züge jedem Herzen Ehrfurcht ein, noch ehe ein Wort aus seinem Munde gekommen war. Er war, wie mir mein Vater sagte, ein Mann von nicht hoher Gestalt, aber von edler, eindrucksvoller Miene; seine Kleider waren dunkel und weit; die untergehende Sonne – denn es war Abend – schien schief auf seine Gestalt, wie sie regungslos und gebietend hervorragte; sein Gesicht war verwittert und scharf markirt, als eines Menschen, der dem Unglück und dem strengsten Wechsel vieler Himmelsstriche getrotzt hat; aber seine Augen strahlten von einem fast überirdischen Feuer, und als er seinen Arm erhob um zu sprechen, da geschah es mit der Erhabenheit eines Mannes, auf den der Geist eines Gottes herabgestiegen war!
›Männer von Athen,‹ soll er gesagt haben, ›in eurer Mitte finde ich einen Altar mit der Inschrift: dem unbekannten Gott . Unbewußt betet ihr denselben Gott an, dem ich diene. Der euch bis jetzt unbekannt war, soll euch nunmehr enthüllt werden.‹
»Dann erklärte dieser hehre Mann, wie der große Schöpfer aller Dinge, der dem Menschen seine mannigfaltigen Stämme und seine verschiedenen Wohnungen angewiesen habe – der Herr der Erde und des Himmels nicht in Tempeln von Menschenhänden wohne, daß seine Gegenwart, sein Geist in der Luft sei, die wir einathmen; daß unser Leben und unser Sein in ihm sei. ›Glaubt Ihr,‹ rief er, ›daß der Unsichtbare sei, wie eure Bildsäulen von Gold und Marmor? Glaubt ihr, er brauche Opfer von euch, er, der Himmel und Erde gemacht hat?‹ Dann sprach er von fürchterlichen Zeiten, die da kommen würden, von dem Ende der Welt, von einer Auferstehung der Todten, wovon dem Menschen eine Gewißheit gegeben worden sei in der Auferstehung des mächtigen Wesens, dessen Religion zu predigen er sich eingestellt habe.
»Während er so geredet, begann sich das lange zurückgehaltene Murmeln hörbar zu machen, und die Philosophen, die sich unter das Volk gemischt, drückten ihre weise Verachtung aus. Da hat man, wie mir mein Vater sagte, die frostige Stirne des Stoikers und das Hohnlächeln des Cynikers sehen können – und die Epikuräer, die selbst nicht an unser Elysium glaubten, machten einen Scherz und schritten lachend durch die Menge; aber das tiefe Herz des Volkes war gerührt und durchdrungen, und es zitterte, obgleich es nicht wußte warum; denn wahrlich der Fremde besaß die Stimme und Majestät eines Mannes, den der unsichtbare Gott mit der Verkündigung seines Glaubens beauftragt hat.«
Ione hörte mit Begeisterung und Aufmerksamkeit zu, die ernste und feierliche Weise des Erzählers aber verrieth den Eindruck, den auf ihn selbst der Bericht seines Vaters gemacht, der mit einer unzähligen Menge auf dem Hügel des heidnischen Kriegsgottes die erste Kunde von dem Worte Christi vernommen hatte.
Sechstes Kapitel.
Der Pförtner – Das Mädchen – Der Gladiator.
Die Hausthüre des Diomed stand offen und Medon, der alte Sklave, saß am Fuß der Treppe, auf der man zu der Wohnung emporstieg. Die prachtvolle Behausung des reichen Kaufmanns von Pompeji ist noch heutzutage außer halb der Thore der Stadt, am Anfang der Gräberstraße zu sehen. Jene Stätte hatte trotz der Todten etwas Heiteres an sich. Auf der entgegengesetzten Seite, aber einige Fuß näher am Thore, lag ein geräumiger Gasthof, wo diejenigen, welche Geschäfte oder Vergnügen nach Pompeji führten, oft anhielten um sich zu erfrischen. Vor dem Thor der Herberge stunden in diesem Augenblick Wagen, Karren und sonstige Gefährte, die zum Theil eben angekommen, zum Theil im Begriff waren, abzufahren, und man fand hier all das lärmende Treiben eines belebten und besuchten Wirthshauses. Vor der Thüre saßen einige Pächter auf einer Bank um ein rauhes Tischchen und besprachen sich bei ihrem Morgengläschen über die Angelegenheiten ihres Berufs. Neben die Thüre
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