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Die letzten Tage von Pompeji

Die letzten Tage von Pompeji

Titel: Die letzten Tage von Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lytton Bulwer
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Neigungen empfänglich, und es war schon lange seit Apäcides jenen milden und freundlichen Gedankenaustausch, jene süßen Vertraulichkeiten nicht mehr gesucht hatte, die ihn in seiner früheren Jugend an Ione fesselten und die einer herzlichen Verbindung, wie sie zwischen ihnen bestund, so natürlich sind.
    Ione übrigens hatte nie aufgehört, seine Entfremdung zu bedauern; im gegenwärtigen Falle schrieb sie dieselbe den wachsenden Verpflichtungen seiner strengen Brüderschaft zu, und oft, wenn sie inmitten all ihrer glänzenden Hoffnungen und ihrer neuen Anhänglichkeit an ihren Verlobten – oft, wenn sie da an die vor der Zeit gefurchte Stirne ihres Bruders, an seine für das Lächeln abgestorbenen Lippen und seine gebeugte Gestalt dachte, seufzte sie, daß der Dienst der Götter einen so tiefen Schatten über diese Erde werden könne, welche die Götter erschaffen haben.
    Heute jedoch, als er sie besuchte, lag eine so sonderbare Ruhe in seinen Zügen, ein ruhiger Ausdruck der Selbstbeherrschung in seinen eingefallenen Augen, als sie seit Jahren nicht beobachtet hatte. Diese anscheinende Besserung war nur augenblicklich – es war eine falsche Ruhe, die da leiseste Lüftchen stören konnte.
    »Mögen die Götter Dich segnen, mein Bruder,« sagte sie, ihn umarmend.
    »Die Götter! sprich nicht so unbestimmt; vielleicht gibt es nur einen Gott.«
    »Mein Bruder!«
    »Wie, wenn der erhabene Glaube der Nazarener wahr wäre? Wenn Gott ein Alleinherrscher – einzig – untheilbar – allein wäre? Wie, wenn diese unzähligen Gottheiten, deren Altäre die Erde füllen, nur böse Dämonen wären, die uns vom wahren Glauben zu entwöhnen suchen? Dies kann leicht der Fall sein!«
    »Ach, können wir es glauben? Oder wenn wir es glaubten, wäre es nicht ein wehmütiger Glaube?« antwortete die Neapolitanerin; »wie! alle, die diese schöne Welt schufen, sollten nur Menschen sein! – der Berg sollte seine Oreade, die Gewässer ihrer Nymphe beraubt werden? Diese herrliche Verschwendung des Glaubens, die alle Gegenstände göttlich macht, die gewöhnlichsten Blumen heiligt, und uns im leisesten Lüftchen ein himmlisches Flüstern zuführt – sie wolltest Du läugnen und die Erde zu bloßem Staub und Lehm machen? Nein, Apäcides, das Herrlichste in unserem Herzen ist eben jener Glaube, der das Weltall mit Göttern bevölkert!«
    Ione antwortete, wie es sich von einem Wesen erwarten ließ, das an die Poesie der alten Mythologie glaubte. Aus dieser Antwort mögen wir ermessen, wie hartnäckig und schwierig der Kampf war, den das Christentum gegen die Heiden zu bestehen hatte. Der anmuthige Aberglaube schwieg nirgends; es gab auch nicht eine Handlung in ihrem häuslichen Leben, die nicht mit demselben verflochten gewesen wäre – er war ein Theil des Lebens selbst, wie die Blumen ein Theil des Thyrsus sind. Bei jedem Ereignisse wandte man sich an einen Gott; jedem Becher Weins ging eine Libation voraus; sogar die Kränze an ihren Thürschwellen waren einigen Gottheiten gewidmet und ihre eigenen Vorfahren führten, nunmehr heilig gemacht, als Laren die Aufsicht über Haus und Hof. So überschwänglich war der Glaube bei ihnen, daß unter jenem Klima der Götzendienst selbst bis auf die gegenwärtige Stunde noch nicht gänzlich ausgerottet ist; er wechselt bloß die Gegenstände seiner Verehrung, er wendet sich da, wo er einst zu den Göttern seine Zuflucht nahm, an unzählige Heilige und schickt die Menge in lauschender Ehrfurcht zu Vermehrung von Orakeln an die Altäre des heiligen Januarius oder des heiligen Dominicus, statt in die Tempel der Isis oder des Apollo.
    Für die frühesten Christen aber waren solche abergläubischen Meinungen nicht sowohl ein Gegenstand der Verachtung, als vielmehr des Entsetzens. Sie glaubten weder mit dem ruhigen Skeptizismus der heidnischen Philosophen, daß die Götter Erfindungen der Priester seien, noch schlossen sie sich dem Glauben der Menge an, daß die Götter, dem trüben Lichte der Geschichte nach zu schließen, Sterbliche gewesen seien wie wir selbst. Vielmehr dachten sie sich die heidnischen Gottheiten als böse Geister, verpflanzten die düstern Dämonen Indiens und des Orients nach Italien und Griechenland, und schauderten vor Jupiter oder Mars, den Repräsentanten des Molochs oder Satans. [Fußnote: In Pompeji stellt eine rohe Zeichnung von Plato diesen furchtbaren Gott in derselben Gestalt dar, die wir heutzutage dem Teufel zuschreiben, und schmückt ihn mit Hörnern und einem

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