Die letzten Tage von Pompeji
der Anstand irgend zuließ, trat doch keine Veränderung in seinem Benehmen ein.
»Aber morgen,« dachte sie, sich freudig aus ihrer Mißstimmung aufrichtend, »morgen, wehe Dir, Glaukus!«
Ja leider, wehe ihm!
Viertes Kapitel.
Die Geschichte verweilt einen Augenblick bei einer Episode.
Unstät und unruhig hatte sich Apäcides den Rest des Tages hindurch auf den einsamsten Spaziergängen in der Nähe der Stadt umhergetrieben. Die Sonne ging langsam unter, als er an einer unbesuchten Stelle des Sarnus, wo sich dieser noch nicht durch die Bauten und Anlagen der Üppigkeit und der Macht hindurchwand, stille hielt. Nur durch einige Öffnungen im Wald und in den Weinbergen gewahrte man hier und da einen Theil der weißen und glänzenden Stadt; aber in dieser Entfernung wurde kein Lärm, kein Ton, kein geschäftiges Summen der Menschen gehört. An den grünen Ufern kroch die Eidechse, hüpfte die Heuschrecke, und da und dort brach ein einsamer Vogel in einen plötzlichen Gesang aus, der ebenso schnell wieder verstummte. Tiefe Ruhe herrschte rings umher, aber nicht die Ruhe der Nacht; die Luft athmete noch die Frische und das Leben des Tages; das Gras regte sich noch von der Berührung der Insektenschaar und auf dem jenseitigen Ufer durchstreifte die anmuthige, weiße Ziege nagend das Grün und hielt am Wasser, um zu trinken.
Während Apäcides nachdenkend auf die Wogen hinschaute, hörte er neben sich das leise Bellen eines Hundes.
»Still, armer Freund,« sagte eine Stimme in der Nähe, »des Fremdlings Tritt fügt deinem Herrn keinen Schaden zu.«
Der Neubekehrte erkannte die Stimme; er wandte sich um und erblickte den alten geheimnisvollen Mann, den er in der Versammlung der Nazarener getroffen hatte.
Der Greis saß auf einem mit altem Moos bedeckten Steine; neben ihm lagen Stab und Reisetasche, zu seinen Füßen aber ein kleiner zottiger Hund, sein Begleiter auf so vielen gefährlichen und wunderbaren Pilgerfahrten!
Das Gesicht des alten Mannes war wie Balsam für den aufgeregten Geist des Neophyten; er näherte sich ihm, bat ihn um seinen Segen und setzte sich zu seiner Seite nieder.
»Du hast Dich wie zu einer Reise eingerichtet, Vater,« sagte Apäcides, »willst Du uns schon verlassen?«
»Mein Sohn,« erwiderte der Greis, »der Tage, die ich noch auf Erden zu leben habe, sind nur wenige; ich wende sie, wie es meine Pflicht ist, an, um von Ort zu Ort zu wandern, Diejenigen zu trösten, die Gott versammelt hat in seinem Namen und die Herrlichkeit seines Sohnes zu verkünden, wie sie sich an seinem Diener bewährt hat.«
»Wie man mir sagt, hast Du das Antlitz Christi geschaut?«
»Und dieses Antlitz erweckte mich von den Todten. Wisse denn, junger Bekenner des wahren Glaubens, daß ich der bin, von welchem Du in der Schrift des Apostels liest: Im fernen Judäa, in der Stadt Nain, lebte eine Wittwe, demüthigen Geistes und traurigen Herzens; denn von all den Wesen, die sie an das Leben fesselten, war ihr nur ein einziger Sohn geblieben; und sie liebte ihn mit wehmütiger Liebe, denn er war das Ebenbild des Verlorenen. Und der Sohn starb. Das Rohr, worauf sie sich stützte, war gebrochen, vertrocknet das Öl im Krüglein der Wittwe. Sie trugen den Todten auf einer Bahre hinaus, und nahe beim Stadtthor, wo sich viel Volk versammelt hatte, kam ein Stillschweigen über die Töne der Trauer, denn der Sohn Gottes ging vorüber. Die Mutter, welche der Bahre folgte, weinte nicht laut, aber alle, welche sie betrachteten, sahen, daß ihr Herz zerschlagen war. Und den Herrn jammerte ihrer, er rührte den Sarg an und sprach: Jüngling, ich sage Dir, stehe auf. Und der Todte richtete sich auf und schaute in das Antlitz des Herrn. Oh, jene ruhige und heilige Stirne – jenes unbeschreibliche Lächeln – jenes von Kummer abgehärmte und wehmuthsvolle, von dem Wohlwollen eines Gottes aufgehellte Gesicht, es vertrieb die Schatten des Grabes. Ich richtete mich auf – ich sprach – ich lebte und lag in meiner Mutter Armen – ja, ich bin der zum Leben erweckte Todte! Das Volk schrie – die Leichenflöten erklangen in Thönen der Freude – es war nur ein Ruf – Gott hat sein Volk heimgesucht! – Ich hörte nichts – ich fühlte – ich sah nichts – als das Antlitz des Erlösers!«
Der Greis hielt einen Augenblick tief bewegt inne und der Jüngling fühlte, wie ein Schauer durch alle seine Glieder zog und sein Haar sich sträubte. Er stund einem Manne gegenüber, der das Geheimnis des Todes geschaut hatte.
»Bis
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