Die letzten Tage von Pompeji
ruhe hier bis morgen.«
»Lieber Sohn, was ist in dieser Tasche, das den Räuber locken könnte? – Und die Nacht und die Einsamkeit – diese bilden die Leiter, auf welcher sich die Engel versammeln und unter der mein Geist von Gott träumen kann. Oh, Niemand kann wissen, was der Pilger fühlt, wenn er auf seinem einsamen Pfade dahinzieht; keine Furcht nährend und keine Gefahr erwartend – denn Gott ist mit ihm! Er hört die Winde frohe Botschaften flüstern; – die Wälder schlafen im Schatten der Fittige des Allmächtigen – die Sterne sind die Schrift des Himmels – die Zeichen der Liebe und die Bürgen der Unsterblichkeit – die Nacht ist des Pilgers Tag.«
Mit diesen Worten drückte der alte Mann Apäcides an seine Brust, nahm Stab und Tasche und setzte, während der Hund ihm munter vorausging, mit langsamen Schritten und niedergeschlagenen Augen seinen Weg fort.
Der Neubekehrte schaute der gebeugten Gestalt nach, bis sie gänzlich hinter den Bäumen verschwand, und als die Sterne hervorbrachen, erwachte auch Apäcides aus seinen Träumereien und erinnerte sich seiner Verabredung mit Olinth.
Fünftes Kapitel.
Der Trank und seine Wirkung.
Als Glaukus in seiner Wohnung ankam, fand er Nydia unter dem Säulengang seines Garten sitzen. In der That hatte sie sich auf die bloße Möglichkeit hin, daß er vielleicht frühe zurückkehren würde, in sein Haus begeben; unruhig, furchtsam und voreilig beschloß sie, die erste Gelegenheit zu Anwendung des Liebestranks zu benützen, während sie in demselben Augenblick halb hoffte, diese Gelegenheit werde sich verzögern. Seltsame Mischung von Kühnheit und Schüchternheit, die Jeder von uns in seiner Jugend erfuhr: wie oft haben wir Alle auf unsern Morgenspaziergängen oder im Gedränge des Abends die Gebieterin unseres jugendlichen Herzens zugleich gesucht und gemieden – wie oft sind wir Meilen weit gegangen, in der Hoffnung, ihr ein einziges süßes Wort zuzuflüstern, und sind heimgekehrt, ohne dieses Wort gesprochen zu haben! Der Himmel sei gepriesen, daß wir nach einiger Erfahrung, wenn wir weniger Jugend und weniger Liebe zu vergeuden haben, sparsamer mit unserer Zeit umgehen!
In solch ängstlich glühender Stimmung, mit klopfendem Herzen und gerötheten Wangen harrte Nydia auf die Möglichkeit, daß Glaukus vor der Nacht zurückkehre. Er schritt über den Portikus, gerade als die ersten Sterne sich zu zeigen anfingen und der Himmel oben sich in die Farbe des tiefsten Purpurs gekleidet hatte.
»Ach, mein Kind, wartest Du auf mich?«
»Nein! ich habe die Blumen gepflegt und verweilte nur noch ein wenig, um auszuruhen.«
»Es ist heute warm gewesen,« sagte Glaukus, sich ebenfalls auf einem der Sitze unter dem Säulengang niederlassend.
»Sehr warm.«
»Willst Du wohl Davus rufen? der Wein, den ich getrunken habe, erhitzt mich und ich sehne mich nach etwas Kühlendem.«
Hier zeigte sich also plötzlich und unerwartet die ersehnte Gelegenheit, ja, Glaukus selbst bot sie Nydia aus eigener, freier Wahl. Sie athmete schnell: – »Ich will Dir,« sagte sie, »den Sommertrank aus Honig und in Schnee gekühlten, leichten Wein, wie ihn Ione liebt, bereiten.«
»Dank,« erwiderte der arglose Glaukus; »wenn ihn Ione liebt, so ist es genug; ich werde ihn mit Freuden trinken, selbst wenn es Gift wäre.«
Nydia runzelte die Stirn, lächelte, entfernte sich für einige Augenblicke und kehrte mit gefülltem Becher zurück. Glaukus nahm ihn aus ihrer Hand. Was hätte Nydia nicht für den Besitz der Sehkraft und nur auf eine Stunde gegeben, um zu beobachten, wie ihre Hoffnungen allmählig reiften – wie die erste Morgenröthe der erwarteten Liebe anbrach; – um mit heiserer Inbrunst als der Perser den Aufgang jener Sonne anzubeten, die, wir ihre leichtgläubige Seele hoffte, auf ihre düstere Nacht hereinbrechen sollte. Ganz anders waren die Gedanken und Gefühle des blinden Mädchens, wie es hier stund, als die der eitlen Pompejanerin in derselben Lage! Welch ärmliche und leichtsinnige Leidenschaften hatten die Letztere zu dem kühnen Unternehmen veranlaßt, welch kleinlicher Haß, welche niedrige Rache, welche Erwartungen eines ärmlichen Triumphes hatte jenes Gefühl gesteigert, das sie mit dem Namen der liebe beehrte! In dem wilden Herzen der Thessalierin hingegen war alles reine, ungezügelte, ungekünstelte Leidenschaft; allerdings irrend, unweiblich, wahnsinnig, aber durch keine Elemente eines schmutzigeren Gefühles befleckt. Von Liebe, wie vom Leben
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