Die letzten Tage von Pompeji
glühenden Temperamente, das beständig ebbt und flutet und zwischen Aufregung und Erschöpfung schwankt, sich so leicht einstellen. Aber er , Ione, er kam zu mir in seiner Angst und Qual; er suchte Jemand, der ihn bemitleide und liebe; ich habe sein Gemüth beruhigt, habe seine Zweifel beseitigt, habe ihn von der Schwelle der Weisheit in ihren Tempel eingeführt und vor der Majestät der Gottheit ward seine Seele beruhigt und besänftigt. Sei ohne Furcht, er wird hinfort nicht mehr bereuen; die, so sich dem Arbaces vertrauen, bereuen nie länger, als einen Augenblick.«
»Du freust mich,« antwortete Ione; »mein theurer Bruder! In seiner Zufriedenheit fühle ich mich glücklich.«
Das Gespräch ging nun auf leichtere Gegenstände über; der Egypter bemühte sich, zu gefallen, ließ sich sogar herab, zu unterhalten; die ungeheure Mannigfaltigkeit seines Wissens befähigte ihn, jeden Gegenstand, den er berührte, zu schmücken und aufzuhellen; den mißfälligen Eindruck seiner früheren Worte vergessend, sah sich Ione, trotz ihrer trüben Stimmung, durch den Zauber seines Geistes fortgerissen. Ihr Benehmen wurde wieder unbefangen und ihre Rede fließend, Arbaces aber, der längst auf diese Gelegenheit gewartet hatte, beeilte sich, sie zu ergreifen.
»Du hast noch nie,« hub er an, »das Innere meines Hauses gesehen; eine solche Beaugenscheinigung möchte Dich vielleicht ansprechen; es enthält einige Zimmer, die Dir das erklären können, worüber Du so oft eine Beschreibung von mir fordertest – die Einrichtung eines egyptischen Hauses; zwar wirst Du keineswegs in den ärmlichen und kleinlichen Verhältnissen der römischen Architektur die massive Kraft, die ungeheure Ausdehnung, die riesenhafte Pracht oder auch nur das Häusliche in der Bauart der Paläste von Theben und Memphis finden, aber da und dort wirst Du doch Manches sehen, was Dir einigen Begriff von jener uralten Civilisation geben kann, welche die Welt humanisirt hat. Widme also dem strengen Freunde Deiner Jugend einen dieser herrlichen Sommerabende und gewähre mir den Ruhm, daß meine düstere Wohnung durch die Gegenwart der bewunderten Ione beehrt worden sei.«
Ohne weder die Entweihungen dieses Hauses, noch die Gefahr, die sie dort erwartete, zu ahnen, ging Ione sofort auf den Vorschlag ein; der nächste Abend wurde zum Besuche bestimmt, und der Egypter entfernte sich mit heiterem Angesichte und einem Herzen, das von wilder und unheiliger Freude pochte. Kaum war er fort, als ein anderer Besuch um Einlaß bat – doch jetzt kehren wir zu Glaukus zurück.
Fünftes Kapitel.
Die arme Schildkröte – Neuer Wechsel für Nydia.
Die Morgensonne beschien den kleinen und duftigen Garten, der von dem Peristyl im Hause des Atheners eingeschlossen war. Letzterer lag düster und gedankenlos auf dem weichen Grase, das sich durch das Viridarium hinzog, und ein leichter, oben aufgespannter Baldachin brach die glühenden Strahlen der Sommersonne.
Als dieses schöne Haus ausgegraben wurde, fand man im Garten die Schale einer Schildkröte, die seine Bewohnerin gewesen war. [Fußnote: Ich weiß nicht, ob man die Schildkrötenschale, welche in dem Hause aufgefunden wurde, das in diesem Werke dem Glaukus zugeschrieben wird, noch aufbewahrt; hoffe es jedoch. ] Dieses Thier, ein so sonderbares Glied in der Schöpfung, dem die Natur außer einer passiven und traumartigen Empfindung des Lebens alle Lebensgenüsse versagt zu haben scheint, war schon viele Jahre, bevor Glaukus jenen Platz kaufte, der Gast desselben gewesen; so viele über Menschengedenken hinausgehende Jahre, denen die Überlieferung eine fast unglaubliche Höhe zuschrieb. Das Haus war gebaut und wieder gebaut worden – seine Besitzer hatten gewechselt und wieder gewechselt – Generationen hatten geblüht und waren ausgestorben, und noch immer schleppte die Schildkröte ihr langsames, gefühlloses Dasein fort. Bei dem Erdbeben, das vor sechszehn Jahren viele der öffentlichen Gebäude der Stadt umgestürzt und die bestürzten Einwohner fortgescheucht hatte, war das jetzt von Glaukus bewohnte Haus fürchterlich erschüttert worden. Die damaligen Besitzer verließen es auf mehre Tage; bei ihrer Rückkehr räumten sie den Schutt weg, der das Viridarium bedeckte, und fanden noch die Schildkröte, unbeschädigt durch die Zerstörung rings umher und ohne eine Ahnung derselben. Sie schien ein bezaubertes Leben in ihrem langsamen Blute und in ihren unbemerklichen Bewegungen zu haben, doch war sie nicht so
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