Die letzten Tage von Pompeji
untrüglich sie ihren dunklen Pfad durch die Blumen fand, und auf dem kürzesten Wege zu ihrem neuen Herrn gelangte.
»Nydia,« sagte Glaukus, ihr langes und schönes Haar zärtlich zurückstreichend – »es sind jetzt drei Tage, seit Du unter dem Schutze meiner Hausgötter stehst. Haben sie auf Dich gelächelt? Bist Du glücklich?«
»Ach, so glücklich!« seufzte die Sklavin.
»Und jetzt,« fuhr Glaukus fort, »da Du Dich ein wenig von den gehässigen Erinnerungen Deines früheren Zustandes erholt hast, jetzt, da man Dich« (hier berührte er ihre gestickte Tunika) »mit Kleidern versehen hat, die für Deine zarte Gestalt besser passen, jetzt, süßes Kind, da Du Dich an Dein Glück gewöhnt hast, das Dir die Götter immer gewähren mögen, möchte auch ich Dich um einen Dienst bitten.«
»Oh, was kann ich für Dich thun?« rief Nydia, ihre Hände faltend.
»Höre,« sagte Glaukus; »so jung Du auch bist, sollst Du meine Vertraute werden. Hast Du je den Namen Ione gehört?«
Das blinde Mädchen schnappte nach Luft, und bleich werdend wie eine der Bildsäulen, die vom Peristyl auf sie herabschauten, antwortete sie mit Anstrengung und nach kurzer Pause: »Ja, ich habe gehört, sie sei von Neapolis und schön.«
»Schön? Ihre Schönheit vermöchte den Tag zu blenden! Neapolis! Nein, sie ist griechischer Abkunft, Griechenland allein konnte solche Gestalten bilden. Nydia, ich lieb sie!«
»Ich dachte mir das,« erwiderte Nydia ruhig.
»Ich liebe sie, und Du sollst es ihr sagen. Ich bin im Begriff, Dich zu ihr zu senden. Glückliche Nydia, Du wirst in ihr Zimmer treten, wirst die Musik ihrer Stimme trinken, wirst Dich in der sonnigen Luft ihrer Gegenwart wärmen.«
»Was, was? Willst Du mich denn von Dir schicken?«
»Du wirst zu Ione gehen,« antwortete Glaukus in einem Tone, der sagte: »Was kannst Du mehr wünschen?«
Nydia brach in Thränen aus.
Glaukus richtete sich auf und zog sie mit den beruhigenden Liebkosungen eines Bruders an sich.
»Mein Kind, meine Nydia! Du weinst, weil Du nicht weißt, welch ein Glück ich Dir gewähre. Sie ist freundlich und gütig, und sanft wie ein Mailüftchen. Sie wird Deiner Jugend eine Schwester sein, wird Deine einnehmenden Talente würdigen und Deine einfachen Grazien lieben, wie es Niemand sonst könnte, denn sie gleichen den ihrigen. Weinst Du noch immer? Liebes Närrchen! Ich will Dich nicht zwingen, meine Süße. Willst Du mir diese Gefälligkeit nicht erweisen?«
»Wohlan, wenn ich Dir dienen kann, so befehle. Sieh, ich weine nicht mehr, ich bin ruhig.«
»Das ist ganz meine Nydia,« fuhr Glaukus fort, ihre Hand küssend. »Geh also zu ihr; wenn Du Deine Erwartungen hinsichtlich ihrer Freundlichkeit nicht befriedigt findest, wenn ich Dich getäuscht habe, so kehre zurück, sobald Du willst. Ich schenke Dich nicht einer Andern, sondern ich leihe Dich bloß. Mein Haus sei immer Deine Zuflucht, meine Süße. Ach, könnte es doch allen Freundlosen und Betrübten Schutz gewähren. Aber, wenn mein Herz mir Wahrheit zuflüstert, so werde ich Dich bald wieder zurückfordern, mein Kind. Mein Haus und Ionens Haus werden Eins werden, und Du selbst bei uns Beiden leben.«
Ein Schauder fuhr durch die zarte Gestalt des blinden Mädchens; aber sie weinte nicht mehr – sie hatte sich in ihr Schicksal ergeben.
»Geh also, meine Nydia, in Ionens Haus – man wird Dir den Weg zeigen. Nimm ihr die schönsten Blumen mit, die Du pflücken kannst; die Vase dazu will ich Dir geben, und Du wirst ihren geringen Werth entschuldigen. Man soll Dir auch die Laute hintragen, die ich Dir gestern gab, und der Du so bezaubernde Töne zu entlocken verstehst. Auch diesen Brief überreiche ihr, worin ich nach hundert Versuchen meinen Gedanken Worte zu geben bemüht war. Horche auf jeden Ton, auf jede Beugung ihrer Stimme, und sage mir, wenn wir uns wiedersehen, ob ihre Musik mich zu Hoffnungen oder zu Befürchtungen berechtigt. Schon sind es mehre Tage, gute Nydia, daß ich nicht mehr bei Ione zugelassen wurde; es liegt etwas Geheimnisvolles in dieser Ausschließung; ich werde durch Zweifel und Besorgnisse gequält; bemühe Dich also – denn Du bist klug, und Deine Sorge für mich wird Deinen scharfen Beobachtungsgeist zehnfach verfeinern – die Ursache dieser Unfreundlichkeit zu erfahren; sprich von mir, so oft Du kannst; laß meinen Namen stets über Deine Lippen schweben; gib ihr meine innige Liebe eher zu verstehen, als daß Du sie laut aussprichst; habe Acht, ob sie seufzt, während
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