Die letzten Tage von Pompeji
Du sprichst, ob sie Dir antwortet, oder wenn sie Deine Rede mißbilligt, in welchem Tone dies geschieht. Sei meine Freundin, sprich für mich, und oh, wie reich wirst Du das Wenige vergelten, das ich für Dich gethan habe. Du verstehst mich doch, Nydia, Du bist noch ein Kind – habe ich mehr gesagt, als Du verstehen kannst?«
»Nein.«
»Und willst Du mir dienen?«
»Ja.«
»Komm zu mir, wenn Du die Blumen gepflückt hast, und ich will Dir die Vase geben, von der ich sprach; suche mich in dem Zimmer der Leda auf. Du bist doch nicht mehr traurig, hübsches Kind?«
»Glaukus, ich bin eine Sklavin; was habe ich mit Freud oder Leid zu schaffen?«
»Sprichst Du so? Nein, Nydia, sei frei. Ich gebe Dir Freiheit – genieße sie, wie Du willst, und verzeihe mir, daß ich bei Dir den Wunsch voraussetzte, mir zu dienen.«
»Du bist beleidigt. Oh, ich möchte selbst um einen höhern Preis, als die Freiheit, Dich nicht beleidigen. Glaukus, mein Bewahrer, mein Retter, mein Beschützer, verzeihe dem armen blinden Mädchen. Insofern es zu Deinem Glücke beitragen kann, so trauert es selbst dann nicht, wenn es Dich verlassen muß.«
»Mögen die Götter dieses dankbare Herz segnen,« sprach Glaukus überaus bewegt und küßte ihr, ohne zu ahnen, welches Feuer er entfache, zu wiederholten Malen die Stirne.
»Du verzeihst mir,« sagte sie, »und wirst nicht mehr von Freiheit sprechen; meine ganze Glückseligkeit ist, Deine Sklavin zu sein, und Du hast ja versprochen, mich keinem Andern geben zu wollen.«
»Ich habe es versprochen.«
»Und jetzt will ich also die Blumen pflücken.«
Stillschweigend nahm Nydia aus der Hand des Glaukus die kostbare, mit Edelsteinen besetzte Vase, in welcher die Blumen an Farbenglanz und Wohlgeruch mit einander wetteiferten; thränenlos empfing sie seine letzte Weisung. Als er aufhörte zu sprechen, blieb sie einen Augenblick stehen; sie wagte nicht zu antworten, sie suchte seine Hand, führte sie an ihre Lippen, ließ ihren Schleier über ihr Gesicht fallen und entfernte sich plötzlich aus seiner Nähe. Als sie die Thürschwelle erreichte, hielt sie noch einmal an, streckte ihre Hände gegen sie aus und flüsterte: »Drei glückliche Tage – Tage unaussprechlicher Wonne! – habe ich erlebt, seit ich dich überschritten, gesegnete Schwelle! Möge nach meiner Entfernung der Friede ewig bei dir wohnen! Und jetzt reißt sich mein Herz von dir los, und der einzige Ton, der in ihm erklingt, heißt mich sterben!«
Sechstes Kapitel.
Die glückliche Schönheit und die blinde Sklavin.
Eine Sklavin trat in das Zimmer der Ione, mit der Meldung, daß eine Botin von Glaukus vorgelassen zu werden wünsche.
Ione zauderte einen Augenblick.
»Die Botin ist blind,« sagte die Sklavin, »und will ihren Auftrag nur an Dich selbst ausrichten.«
Niedrig ist das Herz, welches das Unglück nicht achtet. Kaum hatte Ione gehört, daß die Botin blind sei, als sie die Unmöglichkeit fühlte, eine unfreundliche Antwort zu geben. Glaukus hatte einen Herold gewählt, der in der That heilig war – einen Herold, der nicht zurückgewiesen werden konnte.
»Was kann er von mir wollen? Welche Botschaft kann er senden?« fragte sich Ione selbst und ihr Herz schlug schneller. Der Vorhang an der Thüre ward zurückgezogen; ein sanfter und echoloser Tritt bewegte sich über den Marmor hin, und geführt von einer der Dienerinnen trat Nydia mit ihrer kostbaren Gabe ein.
Sie stand einen Augenblick still, als wenn sie auf einen Laut horchte, um ihre Richtung darnach zu nehmen.
»Will die edle Ione,« hub sie mit sanfter und leiser Stimme an, »mich eines Wortes würdigen, damit ich weiß, wohin ich diese umnachteten Schritte zu lenken habe, um ihr meine Gabe zu Füßen zu legen?«
»Schönes Kind,« sprach Ione gerührt und milde, »gib Dir nicht die Mühe, über diesen schlüpfrigen Boden zu gehen, meine Dienerin wird mir das bringen, was Du zu überreichen hast.« Und sie winkte ihrem Mädchen, die Vase in Empfang zu nehmen.
»Ich darf sie Niemanden als Dir geben,« antwortete Nydia, schritt, geleitet von ihrem Ohr, langsam der Stelle zu, wo Ione saß, und überreichte ihr knieend die Blumenvase.
Ione nahm sie aus ihrer Hand und stellte sie auf den Tisch zu ihrer Seite. Hierauf hob sie Nydia sanft empor und wollte sie auf das Polster setzen; aber das Mädchen weigerte sich bescheiden.
»Ich habe mich meines Auftrags noch nicht vollständig entledigt,« sprach sie und zog den Brief des Glaukus aus ihrem Gewande hervor.
Weitere Kostenlose Bücher