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Die letzten Tage von Pompeji

Die letzten Tage von Pompeji

Titel: Die letzten Tage von Pompeji Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Lytton Bulwer
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unthätig, als es den Anschein hatte; sie hielt einen regelmäßigen, einförmigen Umgang; Zoll für Zoll durchzog sie die kleine Bahn ihres Gebietes, zu deren gänzlicher Umkreisung sie immer Monate gebrauchte. Es war eine rastlose Wanderin, diese Schildkröte – geduldig und mühsam legte sie die selbst vorgeschriebenen Tagereisen zurück, keine Theilnahme zeigend für die Dinge um sie her – eine in sich selbst concentrirte Philosophin! Es lag etwas Großes in ihrer einsamen Selbstsucht! Die Sonne, in der sie sich wärmte – das sich täglich über sie ergießende Wasser – die Luft, die sie ohne es zu fühlen einsog – waren ihr einziger, nie ausbleibender Luxus. Der milde Wechsel der Jahreszeiten in jenem lieblichen Klima fiel ihr nicht empfindlich. Sie hüllte sich in ihre Schale wie der Heilige in seine Frömmigkeit – wie der Weise in seine Weisheit – wie der Liebende in seine Hoffnung.
    Sie war unzugänglich für die Stöße und Veränderungen der Zeit, und eben darum auch ein Bild der Zeit selbst. Langsam – regelmäßig – beständig, unbewußt der Leidenschaften, die um sie her wucherten, der Abnützung aller Sterblichkeit. Die arme Schildkröte! Nichts Geringeres als das Bersten von Vulkanen, die Zuckungen der gespaltenen Welt konnten ihren trägen Lebensfunken ersticken. Der unerbittliche Tod, der weder Pracht noch Schönheit schont, ging achtlos an einem Wesen vorüber, bei dem er doch nur einen unbedeutenden Wechsel hätte hervorbringen können.
    Für dieses Thier fühlte der feurige und lebhafte Grieche die ganze Bewunderung und Zuneigung, die der Contrast einzuflößen vermag. Er konnte Stunden damit zubringen, sein schleichendes Fortschreiten zu beobachten, Betrachtungen über seinen Mechanismus anzustellen. In der Freude verachtete, im Leide beneidete er es. Während er jetzt, auf dem Rasen liegend, der Schildkröte dumpfe und anscheinend regungslose Masse sich fortbewegen sah, murmelte er vor sich hin: »Der Adler ließ einen Stein aus seinen Krallen fallen, im Glauben deine Schale zu zerbrechen. Der Stein zerschmetterte einem Dichter das Haupt. Dies ist die Allegorie des Schicksals! Dumpfes Ding! du hattest einen Vater und eine Mutter; vor Jahren vielleicht hattest du auch eine Genossin. Liebten deine Eltern, oder liebtest du? Kreiste dein langsames Blut heiterer, wenn du an der Seite deines Weibleins krochst? Warst du der Zuneigung fähig? Und konnte es dich traurig stimmen, wenn sie ferne von dir war? Konntest du es fühlen, wenn sie zu deiner Seite kroch? Was gäbe ich nicht darum, die Geschichte deiner gepanzerten Brust zu kennen – den Mechanismus deiner matten Wünsche zu durchschauen – zu sehen, welche haarbreite Grenzlinie deinen Gram von deiner Freude scheidet! Doch glaube ich, würdest du es fühlen, wenn Ione da wäre! Du würdest ihr Herannahen als eine mildere Luft, als eine heiterere Sonne empfinden. Ich beneide dich jetzt, denn du weißt nicht, daß sie ferne ist, und ich – wie gerne würde ich wie du sein – während der Zeit, da ich sie nicht sehe! Welche Zweifel, welche Ahnungen überfallen mich! Warum versagt sie mir den Zutritt? Tage sind vergangen, seit ich ihre Stimme gehört. Zum erstenmale spricht mich das Leben nicht mehr an. Ich bin wie Einer, der allein nach einem Festmahle zurückbleibt – die Lichter erloschen, die Blumen verwelkt. Ach, Ione, könntest du ahnen, wie ich dich anbete!«
    Aus diesen verliebten Träumereien wurde Glaukus durch die Ankunft Nydia's aufgeweckt. Mit ihrem leichten, aber vorsichtigen Schritte kam sie durch das marmorne Tablinum, durchschritt den Säulengang und blieb bei den Blumen stehen, die den Garten einfaßten. Sie hatte ihre Gießkanne in der Hand und begoß die dürstenden Pflanzen, in die bei ihrer Annäherung neues Leben zu kommen schien. Sie beugte sich, um ihren Duft einzuathmen, berührte sie ängstlich und liebkosend, und fühlte an den Stengeln umher, ob nicht ein verwelktes Laub oder ein kriechendes Insekt ihrer Schönheit Eintrag thue. Wie sie so mit ihrem ernsten, jugendlichen Gesichte von Blume zu Blume schwebte, hätte man sich keine entsprechendere Dienerin für die Gottheit der Gärten denken können.
    »Nydia, mein Kind,« sagte Glaukus.
    Bei dem Tone seiner Stimme blieb sie schnell stehen – horchend, erröthend, athemlos! Mit geöffneten Lippen, um die Richtung des Lautes aufzufangen, in die Höhe geworfenem Gesichte, setzte sie die Kanne nieder, eilte zu ihm, und wunderbar war es zu sehen, wie

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