Die leuchtende Stadt
Apparaten besaß. Der mit Vorhängen verhangene Raum war mit Steuerkonsolen voll gestopft und schien eine Mischung aus Bibliothek, Laboratorium und Langstreckenradarstation zu sein – oder, wie Antares’ Steine vermuteten, ein Wissens-Zentrum. Mit Kailans Instrumenten konnte man die Ozeanumgebung auf verschiedenste Weise abtasten. Mit manchen Geräten schien Kailan sich recht gut auszukennen; mit anderen hingegen überhaupt nicht. Wer hatte all diese Instrumente gebaut? Und wie kam es, dass die Neri so viel vergessen hatten, was diese Geräte und ihre Funktion anging?
Kailan und ihre Helferinnen arbeiteten täglich daran, die Steuerkonsolen zu verstehen und wieder in Betrieb zu nehmen. »Meine Gefolgschaft«, erklärte Kailan, womit sie sich auf die weiblichen Neri unter ihrem Befehl bezog, »hat die Pflicht, das Wissen des Neri-Volkes zu bewahren. Aber das ist schwer, wenn unsere Maschinen kaputtgehen und wir die anderen nicht verstehen.«
»Dann sind Eure Instrumente …«
»Sie wurden uns am Anfang gegeben, damit wir in der Lage sind, die sich ständig ändernden Bedingungen in unserer Welt zu beobachten – und unser wissenschaftliches und historisches Wissen zu bewahren. Aber vor vielen Jahren begann unser Wissen zu schwinden, teilweise aufgrund von ausfallenden Geräten und teilweise, weil wir Probleme hatten, es zu ordnen und abzurufen.«
Antares spürte, dass die Obliq bestimmte Gefühle unterdrückte. »Wer«, fragte sie vorsichtig, »hat den Neri die Instrumente gegeben?«
»Jene, die die Stadt gebaut haben, nehme ich an«, murmelte Kailan, während sie einige Abstimmungen an einer der Konsolen vornahm. »Vermutlich hat eine der Tiefseefabriken die Geräte gebaut, obwohl ich nicht einmal das genau weiß. Ich vermute, dass in dem System noch immer irgendwo eine Menge historischer Informationen verborgen sind; wir wissen nur nicht, wie wir an sie herankommen können.«
Als Kailan dieses Eingeständnis machte, spürte Antares ihr Bedauern, aber keine Abwehrhaltung. »Dann hat der Verfall schon lange vor Eurer Zeit begonnen?«
»Oh ja! Wie alle, die das Amt der Obliq vor mir innehatten, habe ich versucht, so viel Wissen zurückzugewinnen und zu bewahren, wie ich nur konnte.« Kailan klopfte auf ein kleines Gerät, das sich nicht einschalten ließ. »Elbeth«, wandte sie sich an ihre Helferin, »die Konsole hier scheint keine Energie zu bekommen. Haben wir eine voll aufgeladene Batterie dafür?« Während Elbeth im Nebenraum nach einer passenden Batterie für das Gerät suchte, fuhr Kailan fort: »Aber es gibt noch sehr viel, was ich nicht über die Instrumente und ihren Zweck weiß – unter anderem, wie sie funktionieren. Sie sind sehr robust – was gut ist, denn die Programmierung der Wandler reicht nicht aus, um alle Geräte reparieren zu können.«
Kailan zupfte sich das Tuch zurecht, beugte sich über ein Gerät, das sie ›Seismik-Bildwandler‹ nannte, und fummelte an einem Anschluss herum. Dann sah sie wieder Antares an. »Alles, was ich Euch bis jetzt erzählt habe, ist, wie wenig ich von diesen Geräten verstehe. Nun, ich würde es begrüßen, wenn Ihr, die Ihr von anderen Welten kommt, oder«, sie schloss kurz die großen Augen, »oder die Steine des Wissens alles verfügbare Wissen mit mir teilt. In letzter Zeit habe schon einiges hinzugelernt, glaube ich.«
Antares sah sich im Raum um. Eine Frage brannte ihr besonders auf der Zunge. »Kailan, wurden diese Konsolen eigens für Euch gefertigt? Für die Neri? Einige wirken so … nun …«
Kailan richtete sich auf. »Klobig? Unpassend?«
»Ja. Als seien sie für die Hände einer anderen Spezies ausgelegt.« Antares strich sich das Haar aus dem Gesicht, ihre empathisehen Sinne glühten, aber es war kein lodernd wildes Feuer, sondern glich eher dem Glimmen von Kohlen in einem Aschebett. Sie spürte, dass unter der Oberfläche von Kailans Bewusstsein eine Mischung aus Wissen und Emotionen loderte.
»Du hast Recht«, gestand Kailan ein. »Diese Instrumente wurden nicht für uns gebaut, sondern für …«, es schien ihr schwer zu fallen, den Satz zu vollenden, »… für jene, die uns geschaffen haben.«
Antares trat näher zu ihr, gerührt von der Traurigkeit und dem Verlustgefühl der Neri-Frau. Kailan wandte den Blick von ihr ab und schaute auf ihre Geräte, und Antares’ Steine begannen, seltsam zu kribbeln. Sie spürte die innere Anspannung der Obliq, ein Unbehagen, das zweifellos mit dem Thema zusammenhing, das sie soeben
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