Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)

Geräuschlos schlich sie sich zu Lucthen hinüber, kniete nieder und griff nach dem Beutel. Sie drehte an dem Verschluss und führte dann den Schlauch an die Lippen. Vor Erleichterung hätte sie beinahe aufgestöhnt, als das Wasser ihre Kehle hinab lief. Mit ein paar Schlucken hatte sie den Wasserschlauch geleert. Schuldbewusst dachte sie, dass das den Magus vermutlich nicht besonders freuen würde. Nun, er musste ja nicht erfahren, dass sie das gewesen war. Vorsichtig legte sie den Lederbeutel wieder dorthin, von wo sie ihn genommen hatte und schlich sich zurück an ihrem Platz. Ja, jetzt fühlte sie sich viel besser. Bald schon würden sie von diesen schrecklichen Inseln fortkommen und zurück in die östlichen Wälder reisen, überlegte sie. Dawn freute sich darüber. Nicht darüber, dass sie wieder die Halbelfen sehen würde, doch in ihrer Hütte wartete ihr Schwert auf sie. Außerdem würden sie ja nicht mehr lange in dem verborgenen Hain bleiben. Bald schon würden sie in Richtung der Sümpfe aufbrechen und diesmal würde sie ihr Schwert ganz bestimmt mitnehmen. Immerhin, in den Sümpfen würden sie es gut gebrauchen können.
    Dawn drückte Corus einen Kuss auf die Stirn und weckte ihn sanft. Verschlafen rieb sich Corus die Augen und Dawn grinste über seinen Gesichtsausdruck. „Schlafmütze. Wir werden bald aufbrechen und ich wollte noch einen Moment mit dir alleine sein.“
    Corus war schlagartig hellwach. „Um was zu tun?“, fragte er scheinheilig und zog sie auch schon in seine Arme.
    Viel zu schnell erwachten auch die Anderen.
    „ Habt ihr auch so schlecht geschlafen?“, erkundigte sich Thistle. Er wirkte tatsächlich übermüdet, stellte Dawn fest.
    „ Nein, eigentlich nicht“, entgegnete Corus und zwinkerte ihr zu. Dawn wurde rot. „Das meint er nicht“, zischte sie ihm zu, doch Corus lachte nur leise.
    „ Ich habe mir eingebildet immer wieder einmal Donnergrollen zu hören“, meinte Thistle.
    „ Nun, vielleicht hat es über dem Meer ein Gewitter gegeben“, meinte Lucthen.
    Thistle nickte, doch Dawn konnte sehen, dass ihn diese Erklärung nicht überzeugte.
    „ Vielleicht sollten wir aufbrechen“, meinte Crystal.
    „ Nach dem Essen“, bat Dawn. „Auf die paar Augenblicke wird es wohl auch nicht mehr ankommen.“
    Kaum hatten sie sich gesetzt, als plötzlich die Erde bebte. Dawn blinzelte verwirrt. „Was war das?“, rief sie erschrocken aus.
    „ Ich weiß es nicht.“ Die Stimme des Magus klang verwundert, als könne er selbst nicht glauben, dass er zugab nicht alles zu wissen.
    War das Nicht ein Knirschen über ihren Köpfen gewesen? Dawns Blick flog unwillkürlich zu dem Dach über ihnen. Jetzt war es ruhig. Doch sie war sich ganz sicher, etwas gehört zu haben. Plötzlich hörte sie das Kreischen eines Vogels. Der Falke! Mit einem Ruck war Thistle auf den Beinen. „Wir müssen hier weg!“ rief er. Dawn blickte verwirrt von Einem zum Anderen. Der Magus griff nach seinen Sachen, Crystal riss die Harfe an sich und auch Corus war bereits dabei seinen Rucksack zu schultern. Konnte ihr einer erklären, was hier vor sich ging?
    „ Beeilt euch“, drängte Thistle. Er hielt seinen Blick auf den Falken gerichtet, der zwischen den Säulen hindurch ins Freie flog. Gerade als sich Dawn erheben wollte, bebte die Erde noch einmal. Stärker dieses Mal und länger. Wie weitentferntes Donnergrollen, dröhnte es in ihren Ohren, gefolgt von einem Geräusch, das so ohrenbetäubend laut war, dass Dawn zusammenzuckte. Als sie wieder aufblickte, sah sie, dass der hintere Teil des Gebäudes eingestürzt war. Grauer Rauch stieg von der Stelle auf, drang in ihre Lungen und reizte sie zum Husten. Wilde Panik erfasste sie und sie benötigte nun keine Aufforderung mehr. Sie rappelte sich auf und folgte in blinder Hast den Anderen. Thistle war am weitesten voraus, mit ein paar Schritten würde er die Bäume erreicht haben, der Magus und Crystal folgten ihm dichtauf. Corus war zurückgeblieben und warf ihr einen drängenden Blick zu. Dawn nickte ihm zu und machte einen Schritt vorwärts. Wieder bebte die Erde und Dawn benötigte ihr ganzes Geschick um nicht zu Boden geschleudert zu werden. Thistle hatte mittlerweile die überdachte Fläche verlassen und sich zu seinen Freunden umgewandt. Dawn sah, dass er irgendetwas rief, doch sie hörte seine Worte nicht, da hinter ihr die Luft plötzlich von ohrenbetäubendem Krach erfüllt war. Die nächsten Augenblicke vergingen für Dawn wie Stunden. Sie sah, wie