Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
Einzigen zu Gesicht bekam, hätte er vor Frustration beinahe laut geflucht. Sie waren anscheinend klüger, als er gedacht hatte. „Fertig?“, fragte er an die fünf Männer gewandt, die gemeinsam mit ihm hinter dem Floß standen. Sie nickten grimmig und auf Thistles Zeichen senkten zwei das Floß, die Anderen standen mit gespannten Bögen und beobachteten die Umgebung. Als alles ruhig blieb, atmete Thistle erleichtert aus. Neben ihm wurde ein weiteres Floß zu Wasser gelassen, dicht hinter ihnen standen zwei weitere Flöße bereit. Bis jetzt verlief im Großen und Ganzen alles nach Plan. Entschlossen übertrat Thistle die Grenze und trat auf die Holzplanken, die sie durch die Sümpfe tragen sollten.
Im nächsten Moment krümmte er sich vor Schmerzen. Er bekam keine Luft mehr, konnte nicht mehr richtig sehen. Seine Gedanken bewegten sich ziellos in seinem Kopf, der brennende Schmerz schien sein Gehirn zu verbrennen. Thistle war auf die Knie gefallen und dann war da plötzlich ein Gedanke. Etwas das Lucthen zu ihm gesagt hatte: „Als wir damals die Grenze zu den Auen überschritten haben, da war das ein ganz eigenartiges Gefühl. Als wäre die stützende Hand, die Talos immer in unserem Rücken gehalten hatte, plötzlich fortgenommen und als müssten wir plötzlich auf eigenen Beinen stehen. Es wird noch viel schlimmer in den Sümpfen, denn wir gehen nicht in das Reich eines anderen Königs, wir gehen in die Dunkelheit.“ Thistle bekam wieder Luft. Das Licht liegt nur einen Schritt entfernt, dachte er. Blinzelnd sah er sich um und sah, dass es den Anderen nicht besser ging als ihm. Panik stieg in ihm auf. Sie mussten sich schnell wieder fassen, bevor die Fort`mai ihre Schwäche bemerkten und sie alle töteten.
„ Was ist dort vorne los?“ Crystals Stimme klang panisch, doch nicht so panisch wie sie sich fühlte. Während der letzten Tage hatte sie versucht stark zu wirken um den Männern, die sie begleiten würden, Vertrauen einzuflössen, doch mit jedem Lächeln, mit jedem aufmunternden Wort war ihre Zuversicht geschwunden. Als hätte sie einen Brunnen leer geschöpft um ihr Wasser mit Allen zu teilen, doch ihr hatte niemand Wasser gebracht. Nein, das stimmte nicht ganz. Ihre Freunde hatten es versucht. Doch sie hatten ihre eigenen Zweifel nicht gut genug vor ihr verbergen können, als dass ihr Zuspruch ihr wirklich Mut gemacht hätte.
Lucthen spähte vorsichtig nach vorne. „Es gibt Probleme an der Grenze zum Sumpf. Ich habe das vermutet. Crystal, bist du darauf vorbereitet? Es ist vermutlich kein angenehmes Gefühl.“
Crystal antwortete ihm nicht. Was hätte sie auch sagen sollen? „Nein, bin ich nicht. Lass uns umkehren.“ Oder sie hätte lügen können. Doch sie bezweifelte, dass sie momentan die Kraft hatte, Lucthen ein beruhigendes Lächeln zu schenken, wenn sie sich alles andere als ruhig fühlte. Endlich konnten sie weiter gehen. Das Floß hinter dem sie noch Schutz suchten, war das Größte von allen. Vier Männer umringen sie und hatten von Thistle den Befehl erhalten immer in ihrer Nähe zu bleiben. Lucthen würde auch bei ihr bleiben und Thistle würde zu ihr kommen, sobald sie ihre Position erreicht hatten. Die Männer legten das Floß ins Wasser. Es hatte eine leicht gelbliche Farbe und stank erbärmlich. Pflanzen lagen wie ein grüner Schleier knapp unter der Oberfläche. Das Wasser konnte nicht besonders tief sein, denn immer wieder sah sie Grasbüschel zwischen der Wasserfläche aufragen. Sie fragte sich, wie weit sie mit den Flößen kommen würden. Lucthen trat vor ihr auf die Planken und blieb wie erstarrt stehen. Zögernd wartete sie darauf, dass er sich zu ihr umdrehen, ihr die Hand reichen und aufs Floß helfen würde. Doch nichts passierte. Langsam wurde sie unruhig, trat von einem Fuß auf den Anderen und warf ihren Begleitern ratlose Blicke zu. Schließlich rief sie ihn bei seinem Namen. Dreimal musste sie ihn rufen, dann ging ein Ruck durch ihn und er drehte sich langsam um. Seine Augen glänzten hart. Kleine, weiße Linien hatten sich um seinen Mund eingegraben, so fest presste er sein Kiefer aufeinander. Crystal erschrak als sie ihn so sah. Mit einem Mal erschien er ihr schrecklich fremd und weit fort. Und um ehrlich zu sein, hatte sie Angst, ihm an diesen Ort, der ihn so veränderte, zu folgen. Schließlich gab sie sich einen Ruck und ergriff seine ausgestreckte Hand. Einen Moment später war Lucthens Hand das Einzige, das sie aufrecht hielt. All die theoretischen
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