Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
konnte Dawn sie so mühelos führen wie eines der Messer, die sie zum Jonglieren benutzte. Sie lachte. Wer hätte gedacht, dass sich tief unter der Erde solch’ ein Schatz verbarg!
Als die Bilder kamen, ging sie unwillkürlich in die Knie. Sie sah ein Gesicht, das so schön wie kalt, so makellos wie grausam war. Augen wie flüssiges Gold starrten sie an, schienen ihr bis auf den Grund ihrer Seele zu blicken. Beim Licht, wer war er? Sein Haar glänzte in der Farbe von frisch gebrautem Bier, sein perfekt geschwungener Mund war zu einem grausamen Lächeln verzogen. Er hielt ein Schwert in der Hand. Ihr Schwert! Es dauerte eine Weile bis Dawn begriff, dass er sie gar nicht sah, dass er durch sie hindurch blickte, auf einen Mann, der ihm gegenüber stand. Schneller als dieser reagieren konnte, wirbelte der Fremde plötzlich herum und stieß sein – ihr Schwert! – Schwert tief in die Brust seines Gegners. Blut spritzte; Dawn schrie auf. Sie versuchte das Schwert, das sie in der Hand hielt, fallen zu lassen, doch ihr Körper gehorchte ihr nicht. Unbewegt zog der Fremde sein Schwert aus der Brust des Toten, wischte es ab und steckte es zurück in die Scheide, die an seinem Gürtel hing. Seine Miene verriet nicht eine Spur von Bedauern.
Das Schwert entglitt Dawns tauben Fingern und fiel mit einem lauten Klirren zu Boden.
Sie waren seit fünf Tagen unterwegs und Crystal, der die lange Zeit, die sie im Sattel verbringen musste, zu schaffen machte, fühlte sich von den Eröffnungen der Drei noch immer ganz benommen. Sie sehnte sich nach Joy und hatte gleichzeitig Angst sie wiederzusehen – nun da sie wusste, dass sie für den Tod ihrer Eltern verantwortlich war. Seit sie denken konnte hatte Crystal immer davon geträumt Kornthal zu verlassen und zu erforschen was jenseits der Grenzen auf sie wartete, doch nun da das Unglück in Gestalt dreier vermummter Frauen über sie hereingebrochen war, hatte sie kaum einen Blick für die Landschaft und die Dörfer, durch die sie ritten. Sie überließ dem Magus die Auswahl der Tavernen und auch das Reisetempo bestimmte er. Sie saß einfach auf ihrem Pferd und starrte den Rücken ihres Begleiters an. Normalerweise hätte sie ihm Fragen gestellt; Fragen über die Magie, denn Magus Horten hatte sich immer hartnäckig geweigert darüber zu reden. „Die Magi des grauen Zweiges sind ja mehr Gelehrte als wirkliche Magi. Ich kann nur ein paar Gesten und um die größeren Zusammenhänge zu erklären bin ich wirklich nicht der Richtige“, pflegte er zu sagen.
Ihre Schuldgefühle drückten ihr so schwer aufs Herz, dass jeder Atemzug schmerzte und dass sie sich ständig konzentrieren musste um nicht zu weinen. Sie hatte keine Kraft für Fragen. Manchmal merkte sie, dass Lucthens stechend blaue Augen interessiert auf ihr ruhten, als wäre sie ein Rätsel, das es zu lösen galt, doch er respektierte ihr Schweigen und dafür war Crystal ihm dankbar. Abends vor dem Einschlafen, wenn sie in einem fremden Bett lag und eine fremde Decke anstarrte, fragte sie sich, ob sie sich von jetzt an immer so fühlen würde. Als wäre sie für sich selbst eine Fremde. Als wäre der Teil von ihr, der lachen konnte und der fröhlich war, in ihrem Körper gefangen. Ihr linker Oberschenkel streifte flüchtig ihre Harfe und sie zuckte zurück. Sie hatte seit jener Nacht nicht mehr gespielt. Dabei sehnte sie sich so sehr danach spielen zu können, vergessen zu können – wenigstens einen Moment lang. Doch ein Teil von ihr fürchtete sich auch davor. Sie dachte darüber nach, dass sie nicht einmal wusste durch welche Baronie sie gerade ritten und schämte sich. Durfte sie wirklich so gleichgültig sein? Als Lucthen schließlich vor einer Taverne sein Pferd anhielt und abstieg, ließ sich auch Crystal aufseufzend aus Sturmmähnes Sattel gleiten. Es war gut, dass sie heute früher Rast machten. Sie brauchte dringend eine Pause. Gemeinsam führten sie die Pferde in den Stall. Ein Stallbursche, der ihnen geschäftig entgegenrannte und der sich – nachdem er gesehen hatte um welch prachtvolle Tiere es sich handelte – vor Hilfsbereitschaft fast überschlug, nahm ihnen die Zügel ab und bat sie nach drinnen. Sie folgten seinem Rat, dankbar sich nicht um die Pferde kümmern zu müssen. Die Schankstube war ziemlich voll, wie Crystal überrascht bemerkte, sah jedoch ganz einladend aus. Lucthen hatte eine gute Wahl getroffen, wie stets bisher. Irgendwann sollte sie ihm für seine Umsicht danken.
„ Wollen wir nach
Weitere Kostenlose Bücher