Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
Leben.
„ Euch trifft keine Schuld, Lady Crystal“, riss eine strenge Stimme sie aus dem Strudel der Verzweiflung, in dem sie zu versinken drohte.
„ Wie könnt Ihr das sagen!“, rief sie außer sich. Der Gedanke an Höflichkeit war längst vergessen. „Diese Frauen waren meinetwegen in der Burg. Wenn ich nicht wäre, dann würden Rhys und Lucia noch leben!“
„ Frauen?“
Das Wort wurde so scharf hervorgestoßen, dass Crystal blinzelnd zu dem Sprecher aufschaute. Sie begriff, dass bisher noch kein Opfer Gelegenheit gehabt hatte, seine Angreifer zu beschreiben. Crystal nickte hastig. „Drei Frauen mit Tüchern vor dem Mund. Sie hatten eigenartig gekrümmte Schwerter und alle drei trugen Hosen.“
„ Lady Crystal, bis wir wissen um wen es sich bei den Angreifern handelt, seid Ihr und alle die bei Euch sind, in Gefahr.“ Der Blick des kleinen Mannes ruhte mitleidig auf ihr als Crystal langsam begriff, dass sie nicht zur Burg zurückkehren konnte. Sie dachte an die kleine Joy und nickte entschlossen. Egal was es sie selbst kostete, sie würde das Mädchen nicht in Gefahr bringen. Doch wo sollte sie hingehen?
Der Mann, der sich bisher zurückgehalten hatte, trat nun näher an sie heran. „Deshalb haben wir eine Bitte an Euch. In den östlichen Wäldern, tief in den Auen, lebt ein Magus, der uns vielleicht helfen kann. Lucthen Amortis, ein Lehrer der hiesigen Akademie, wird sich in den nächsten Tagen auf eine Reise in die östlichen Wälder machen und wir halten es für eine gute Idee, wenn Ihr ihn begleiten würdet.“
Crystal sah von einem zum anderen. Sie schienen diesen Vorschlag tatsächlich ernst zu meinen. In ein anderes Reich reisen! Ihr Bruder hätte sie ausgelacht, wenn sie ihm einen solchen Vorschlag unterbreitet hätte. Nicht einmal Meister Martim hatte die Grenzen des Mittellandes hinter sich gelassen und der hatte sein gesamtes Leben auf Wanderschaft verbracht. Sie wusste nichts über die Auen, außer dass ihre Königin Eidos hieß und dass das gesamte Gebiet von Wald bedeckt war. Ob sie dort überhaupt die Tradition des Liedsangs kannten? Crystal sah aus den Augenwinkeln, wie die drei Männer sich vielsagende Blicke zuwarfen. Schweigend gaben sie ihr Zeit für ihre Entscheidung. Crystal senkte den Blick, nur um die Männer unauffälliger beobachten zu können. Der Graumelierte hielt doch tatsächlich den Atem an! Die anderen Beiden tauschten bange Blicke, die von Hoffnung und Angst sprachen. Crystals Verstand arbeitete fieberhaft. Warum konnte es für diese Herren von solcher Bedeutung sein, ob sie ihren Vorschlag annahm oder ablehnte? Da musste mehr dahinter stecken als sie zugaben. Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Sie wollten sie aus dem Reich haben, weil sie überall eine Gefahr darstellen würde! Crystal schluckte hart. Sie konnte nur hoffen, dass die Attentäter sie nicht bis in die Auen verfolgen würden.
Mit langen Schritten durchmaß Lucthen wohl zum hundertsten Mal das Zimmer. Ihm schien es, als würde er schon seit einer Ewigkeit warten. Dabei könnte er schon seit Tagen unterwegs sein! Er schnaubte ärgerlich. Diese Verzögerung gefiel ihm ganz und gar nicht; vor allem, da er sie nicht verstand. Als ihm sein Vater in jener Nacht erzählt hatte, wo er Liisatiina finden könne, war sein erster Impuls gewesen sich auf ein Pferd zu schwingen und Richtung Osten zu reisen. Sein Vater hatte ihn unter Aufbietung all seiner Überredungskünste davon überzeugt, dass es klüger wäre mit der Genehmigung des Königs zu reisen. Als Lehrer an der Akademie des blauen Zweiges stand er indirekter Weise in den Diensten des Königs und so hatte er ihn um Erlaubnis zu fragen, wenn er ein anderes Reich bereisen wollte. Also hatte er seine Ungeduld gezügelt und um eine Audienz bei den drei obersten Talosreitern gebeten. Zu seiner Überraschung war er bereits für den nächsten Tag in den zweiten Ring bestellt worden und hatte seine Bitte vortragen können. Seine wahren Beweggründe hatte er wohlweislich verschwiegen; er hatte den Reitern erklärt, dass er auf Bildungsreise gehen wollte um die Magie der Druiden zu studieren, die tief in den Wäldern von Eidos’ Reich lebten. Man hatte seine Bitte angehört und entschieden, dass er gehen durfte – unter einer Voraussetzung: dass er eine junge Baronin bis zu einem Magus begleitete, der in den östlichen Wäldern lebte. Lucthen hatte zwar keine Ahnung welche Geschäfte eine Baronin mit einem Magus aus den Auen haben konnte,
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