Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
Lucthens Herz setzte einen Moment lang aus. Dawns Schrei gellte ihm in den Ohren.
„ Crystal! Nein, bitte nicht!“
Kapitel 4
Niemand wusste, woher der Sumpf kam. Nicht einmal die Druiden, die die Sprache des Waldes sprachen. Alles was sie sagen konnten war, dass der Sumpf tot war, dass sie ihn nicht spüren konnten und daher fürchteten. Begonnen hatte alles vor ungefähr zwanzig Jahren: Ein Stück des Waldes starb. Anfangs dachten die Druiden, dass die Überschwemmungen daran Schuld seien, dass das Salzwasser die Wurzeln der Bäume zerfressen hatte. Doch als immer mehr Wald starb und dem Sumpf Platz machte, wurde deutlich, dass mehr dahinter steckte. Der Sumpf war eine Brutstätte für seltsame Wesen. Immer neue Kreaturen erhoben sich daraus und bedrohten den Wald und die Menschen. Am schlimmsten waren die Fort’mai. Obwohl sie aussahen wie Tiere und sich nur durch Grunzlaute zu verständigen schienen, konnten sie Waffen gebrauchen. Die Wachen sorgten dafür, dass sie im Sumpf blieben und nicht auch den restlichen Wald unsicher machten.
Während Thistle seine Augen suchend über den Sumpf gleiten ließ, den Bogen gespannt und schussbereit, fragte er sich wieder und wieder, was die Menschen getan hatten um Lucis so sehr zu verärgern, dass sie ihnen diese Strafe aufbürdete. Seit fast einem halben Jahr war er nun bei den Wachen, die an der Grenze zwischen dem Sumpf und den Wäldern patrouillierten. Er hatte natürlich schon davor gewusst, dass der Sumpf existierte, doch er hatte sich nicht wirklich eine Vorstellung davon machen können, was er bedeutete. Wie ein Geschwür der Wälder war er – wie eine Krankheit des Landes selbst. Thistle war heilfroh, dass seine Zeit bei der Wache bald vorbei war und dass er wieder zu seiner Sippe zurückkehren konnte.
„ Ho!“, schallte ein scharfer Ruf durch die Wälder. Thistle kannte den Befehl und verstärkte seine Bemühungen in dem dichten Bodennebel, der über dem Sumpfgebiet lag, etwas zu erkennen. Als er rechts von sich eine Gestalt wahrnahm, überlegte er nicht lange. In einer routinierten Bewegung nahm er einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn an und schoss. Thistle war der beste Bogenschütze seiner Sippe. Sein Pfeil traf das Ziel. Kaum einen Moment später bohrten sich zwei weitere Pfeile in den unachtsamen Fort’mai. Thistle atmete tief durch. Solange es ihnen gelang die Kreaturen schon im Sumpf zu töten, war alles in Ordnung, doch wenn sich die Fort’mai zu größeren Gruppen zusammenschlossen kam es vor, dass sie die Wachen erreichten. Thistle hatte mitangesehen, wie ein Mann an den Wunden, die die Fort’mai geschlagen hatten, gestorben war. Unachtsamkeit konnte tödlich sein.
„ Guter Schuss“, ertönte die Stimme seines Freundes Forest neben ihm. Thistle grinste.
„ Ich muss sagen, ich jage trotzdem lieber Hasen.“
Als Crystal Lucthens Warnschrei hörte, fuhr sie erschrocken herum. Sie sah eine riesige Axt wie einen wirbelnden Schatten auf sich zukommen und drehte sich instinktiv zur Seite. Sie war nicht schnell genug und als die Waffe ihren rechten Arm streifte, wurde sie von der Wucht des Schlages zu Boden geschleudert. Der Aufprall trieb ihr die Luft aus den Lungen, ein heftiger Schmerz fuhr durch ihren Körper und ihr wurde kurz schwarz vor Augen. Crystal kämpfte gegen die drohende Ohnmacht an, blinzelte heftig und sah, dass die Kreatur bereits über ihr stand und zum nächsten Schlag ausholte. Die junge Bardin rollte sich zur Seite um dem tödlichen Hieb auszuweichen. Als sie auf ihrem verletzten Arm zu liegen kam, schrie sie vor Schmerzen auf. Die Axt grub sich neben ihr in den Boden, wühlte das Erdreich auf und Erdklumpen trafen Crystal am Hinterkopf, sie hörte das überraschte Grunzen ihres Angreifers und blickte über ihre Schulter. Der Krötenmensch riss die Axt erneut hoch, bereit für den nächsten Schlag – doch er führte ihn nie aus. Ein leises Sirren in der Luft und ein Aufblitzen von Silber waren die einzigen Warnungen; dann fiel Crystal der Kopf des Krötenwesens vor die Füße. Etwas Warmes, Rotes spritzte auf ihr Kleid, ihren Körper, ihr Gesicht. Der Körper der Bestie sank in sich zusammen und dahinter stand Dawn, das blutige Schwert immer noch erhoben. Die Augen der Gauklerin glänzten und einen Moment lang fürchtete Crystal, dass Dawn sie nicht erkennen und auch auf sie losgehen würde. Das Mädchen atmete schwer, stand bebend da; dann wandte es sich mit einem leisen Knurren ab. Im nächsten
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