Die lichten Reiche: Band 1: Harfe und Schwert (German Edition)
und Blut von ihnen tropfte. Doch sie spürte diesen Schmerz nicht. In ihr war nur mehr Platz für ein Gefühl: Sie war gerettet.
Mit vor Müdigkeit starren Augen beobachtete Lucthen wie der Mann in dem roten Umhang das Feuer löschte und sorgfältig austrat. Er hatte die ganze Nacht über Wache gehalten, denn er hatte gefürchtet, dass der Mann vielleicht mitten in der Nacht weiter reiten würde, und dass er dann seine Spur verlieren würde. Lucthen konnte es immer noch nicht so recht glauben und folgte dem Mann mit seinen Blicken. Er war groß und schlank, das dunkle Haar trug er kurz geschnitten. Sein Umhang wies in als Talosreiter aus. Als Lucthen den Mann gestern Nachmittag zum ersten Mal gesehen hatte, war es ihm vorgekommen, als würde er in einen Spiegel blicken. Die Bewegungen des Mannes glichen so sehr seinen eigenen, dass es unheimlich war und Lucthen hatte spontan beschlossen dem Reiter zu folgen. Da er zu Fuß unterwegs war hatte er sich beeilen müssen um mit dem Mann Schritt zu halten. Der Talosreiter fand einen Weg für sein Pferd, den sie nicht gefunden hatten, fast als würden Büsche und Sträucher zurückweichen um ihn durchzulassen. Wenn Lucthen sich manchmal umwandte konnte er hinter sich keinen Weg erkennen. Er war zügig bis zur Abenddämmerung geritten und hatte dann ein kleines Lagerfeuer errichtet. Lucthen hatte nicht gewusst, ob er sich bemerkbar machen sollte und hatte vorsichtshalber abgewartet. Dann plötzlich hatte der Mann seinen Kopf gehoben und Lucthen hatte in sein Gesicht geblickt. Diese Ähnlichkeit! Und dann hatte ein Säugling zu weinen begonnen. Der Mann hatte sich seufzend umgewandt und sich neben ein Bündel gekniet, das er vorhin auf dem Boden abgelegt hatte. In dicke Decken eingepackt lag dort ein Kind, wie Lucthen erkannte und plötzlich wusste er, wen er vor sich hatte. Er verstand nicht, warum ihm der Wald Bilder der Vergangenheit zeigte, doch er hatte seinen Blick nicht abwendet können, als sein Vater Liisatiina verdünnte Milch zu trinken gab und mit leiser Stimme beruhigend auf sie einredete. Er hatte ganz vergessen gehabt, wie sehr er seinem Vater ähnelte und so beobachtete er die Erinnerung des Waldes an den Mann, der vor vielen Jahren hier gewesen war und der eine jüngere Version seines Vaters und eine ältere Version seiner selbst war, wie er sich schlafen legte und sein Atem schließlich tief und weit wurde. Eine eigenartige Ruhe lag über Lucthens Gedanken. Er konnte in der Stille der Nacht die Einsamkeit seines Vaters fühlen, der seit einer Ewigkeit alleine Richtung Osten ritt, seine Zweifel und Lucthen konnte zum ersten Mal in seinem Leben erahnen was es hieß jemandem zu dienen. Wie schwer es sein musste etwas zu tun, was man für Falsch hielt. Lucthen verstand, dass es nicht immer leicht war, das Richtige zu tun und dass sein Vater es dennoch getan hatte. Heißer Stolz, auf diesen Mann, der sein Vater war, durchflutete seine Adern. Und so war er wach geblieben, sein Geist voll von Erinnerungen. Als sich sein Vater nun auf den Rücken seines Pferdes schwang und das in Decken gewickelte Kind an seiner Brust barg, folgte er ihm. Wieder fand sein Vater einen Weg durch Hecken und Büsche, durch Dickicht und Wurzeln. Lucthen beeilte sich mit ihm Schritt zu halten. Sein Herz klopfte heftig. Instinktiv wusste er, dass er seinem Ziel nahe war. Dann lag plötzlich eine Lichtung vor ihm und Lucthen staunte, als er sie betrat. Es war so friedvoll hier, so wunderschön. Die Erinnerung an seinen Vater verblasste und zurück blieb nur eine Spiegelung in der Luft, die an einen Mann, ein Kind und ein Pferd erinnerte und sich dann auflöste. Lucthen stand nun allein auf der Lichtung. Eine Bewegung hinter den Bäumen erregte seine Aufmerksamkeit. Sein Hals war auf einmal wie ausgetrocknet, seine Augen starrten wie gebannt auf die Vision, die Wirklichkeit geworden war. Silberblondes Haar wehte im Wind, als Liisatiina sich rasch näherte, einen eigenartigen Ausdruck auf dem schönen Gesicht. Lucthen sog den Anblick in sich auf, unfähig die kleinste Bewegung zu machen und so wartete er bis sie zu ihm gekommen war. Sie war schlank und groß, fast so groß wie er. Ihre Gesichtszüge waren noch schöner, als er sie sich ausgemalt hatte. Sie schien menschlich und doch wieder nicht. Lucthen suchte in ihrem Gesicht etwas, woran er diese Unsicherheit festmachen konnte und sah, dass ihre Ohren oben spitz zusammenliefen, wie die Ohren einer Katze. All das nahm er wie betäubt
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