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Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
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stammelte sie. »Gottschalk, bitte wach auf!« Der Mann rührte sich nicht mehr.
    »Er ist tot.«
    »Nein«, bat sie bebend und rüttelte am Wams des Alten. »Nein!«, schrie sie zornig. »Er – er ist zu klug, um tot zu sein!«
    »Luzinde -«, begann Wenzel und trat näher, doch sie legte sich auf Gottschalks Leib und hielt sich an ihm fest. Dort klammerte sie sich fest und ertrug die Krämpfe, die ihren Körper schüttelten. Erst viel später, als ihr Kraft und Tränen fehlten, bemerkte sie, dass sie die ganze Zeit geweint hatte.
    »Luzinde«, murmelte der Ritter hinter ihr schließlich. Als sie sich nicht mehr wehren konnte, zog er sie sanft zurück. Er hielt sie, dreckig, wie sie war, an sich gedrückt und drapierte seinen Mantel über ihr zerrissenes Kleid. Luzinde ließ sich fallen. Das Letzte, was sie vor Augen hatte, bevor die Bewusstlosigkeit sie übermannte, war der gütige alte Mann, der mit eingeschlagenem Gesicht im eingefrorenen Schlamm dieser dunklen Tachauer Gasse lag.
     
    Ritter Wenzel hielt Luzinde fest in seinem Mantel umschlungen, bis weitere Hilfe kam. Als man Gottschalk abtransportiert hatte, hob er sie auf und trug sie in das Gasthaus. Die Magd hatte vage Erinnerungen daran, dass sie auf ein Lager gelegt wurde, jemand sie auskleidete und wusch und in trockene Kleider steckte. Während sie die ganze Nacht wach lag und in die Schwärze hinaus starrte, saß Wenzel beim Kerzenschein auf einem Hocker an der Wand und wachte. Jemand nötigte sie am Morgen, etwas zu essen, doch Luzinde verspürte keinen Hunger. Man hüllte sie in Gottschalks guten Umhang und trug sie mit dem Gepäck aus dem Haus.

    Die nächsten beiden Reisetage zogen an der Magd vorbei, als wäre sie nicht dabei gewesen. Man zog über Mies nach Pilsen weiter. Luzinde lag wie ein Kleinkind auf Gottschalks Karren. Adam lenkte. Sie sah das Land durch die rückwärtige Öffnung in der Ferne verschwinden. Ab und an erschien Ritter Wenzel zu Pferd in ihrem Blickbereich, und sprach ein paar Worte mit ihr. Doch Luzinde konnte nicht einmal blinzeln.
    Das einzige Ereignis, das eine Reaktion aus der starren Magd herausbrachte, geschah während einer Pause. Stimmen drangen an den Wagen heran, vermutlich die des Bruders Ambrosius und der böhmischen Frau mit dem hartem Akzent.
    »Was haben die sich denn gedacht – sie lassen die Leute durch Wucher ausbluten und ziehen dann ohne Schutz durch das Land? Dieses Volk muss sehr dumm sein.«
    »Der Schutz des Königs reicht eben auch nur so weit wie der Arm des Königs«, stimmte der Mönch kühl zu. Dann sprach er lauter: »Es ist sehr gut von Euch, Herr Seifert, dass Ihr Euren Knecht dem Mädchen helfen lasst.«
    »Ich halte es für meine Christenpflicht zu helfen, Frater«, erwiderte der Mann trocken.
    »Ein Christ«, belehrte Ambrosius den Händler, »ist einem Juden zu nichts verpflichtet.« Luzinde liefen bei seinen Worten stille Tränen über die Wangen, und sie schloss die Augen.
    Am zweiten Tag saß Luzinde, in mehrere Decken gehüllt, neben Adam auf dem schmalen Bock des Karrens. Es schien beinahe, als kümmere es die anderen Reisenden nicht, dass Gottschalk tot war. Und warum auch? Sie hatten ihn weder gekannt noch gemocht. Die Welt ging weiter ihren ganz normalen Gang, und außer Luzinde fiel niemandem auf, welche Lücke der Alte hinterlassen hatte.
    Der Knecht versuchte am Anfang, sie aufzumuntern, doch auch er verstummte irgendwann. Nach einer Rast setzte er Luzinde
wieder hinten auf die Ladefläche. Von dort aus schaute Luzinde der Sonne zu, wie sie hinter den dunkel bewaldeten Höhen, über die sie gezogen waren, langsam schlafen ging. Die Laterne über Luzinde, die das hintere Ende des Karrens beleuchtete, wurde entzündet und schaukelte hin und her. Doch irgendwann hörte auch das auf. Jemand trat in den Eingang. Die Magd wandte ihren Kopf.
    »Du bist wach«, sagte Ritter Wenzel. »Das ist gut. Wir … Adam hat sich schon Sorgen gemacht.« Luzinde blinzelte nur. »Wir sind in Pilsen, noch etwa zwei Tage vor Prag.Wir werden in der Gaststube an der Brauerei nächtigen. Aber für dich ist die Reise hier zu Ende.«
    »Zu Ende?« Luzindes Stimme klang dünn. Ihre Kehle war trocken. Sie hatte zwei Tage lang nichts gegessen und nur getrunken, was man ihr unter Zwang eingeflößt hatte.
    »Wir sind beim Haus des Juden Levi. Er wird dich aufnehmen, bis es dir besser geht. Dann kann er entscheiden, wie es mit dir weitergeht. Er wird dich sicher mit dem Hab und Gut von Gottschalk nach Nürnberg

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