Die Lichtermagd
seid.«
»Nit!«, rief Gottschalk nun und bot mit zittriger Hand seine Lederbörse mit den Rosenprägungen an. »Nemt des Geld, und last ab von uns!«
Das Grinsen des Kerls offenbarte die Zahnstummeln in seinem Mund. »Schnappt euch das Geld. Und dann schnappt euch den Alten!«
Luzinde erkannte ihren Fehler zu spät. Die beiden Begleiter dieses Mannes waren noch breiter und stärker als er. Und sie waren allzu schnell zur Stelle gewesen, als er gerufen hatte. Und woran hatten sie im Dunkeln erkannt, dass sie Juden waren? Das ließ nur einen Schluss zu – er war nicht zufällig in sie hineingerannt. »Nein!«, rief sie, als die beiden anderen Schläger vorsprangen und nach Gottschalk schlugen, so dass er ins Taumeln geriet. »Hilfe!«, schrie sie. Adam, Seifert oder Wenzel
würden sie sicher hören! Immerhin hatte der Geld genommen, um sie zu beschützen!
Der Mann, der sie hielt, schlug ihr die Hand über den Mund. »Leiden sollt ihr, Juden! Aber stumm!«
Luzinde schmeckte das Blut ihrer aufgeplatzten Lippe. Panik erfasste sie. Die Kerle meinten es ernst. Sie riss sich los und rannte hinüber zu Gottschalk, der von einem Schlag auf den Kopf in eines der Schlammlöcher geworfen wurde. »Sind die Schweine nicht eure Lieblingstiere?«, lachte einer der Männer böse und trat nach dem Alten. »Suhlen die sich nicht auch immer im Dreck?« Der andere ahmte die schnorchelnden Grunzlaute einer Sau nach.
Als die Magd bei dem Greis angelangt war, warf sie sich auf ihn. »Nicht!«, schrie sie schluchzend, und versuchte, seinen Kopf zu schützen. Ein dunkles Rinnsal lief bereits von seiner Schläfe. »Er kann doch nichts dafür! Bitte!«
»Erst dreist, dann betteln!«, knurrte der erste Mann und zerrte sie von dem Alten herunter. »Leute wie euch muss man züchtigen, bis ihrs lernt!« Damit schubste er sie in den Schlamm vor sich und hielt sie mit einer Hand am Haarschopf fest, so dass sie auf den Knien zuschauen musste, wie die anderen beiden Gottschalk malträtierten.
Luzinde schrie, sie schluchzte, sie schlug um sich. Immer wieder versuchte sie, sich loszureißen, um dem alten Mann zu helfen. Irgendwann blieb er unter den Tritten und Schlägen mit dem Gesicht im Schlamm liegen und rührte sich nicht mehr. Die Männer hielten erschöpft inne. Der Kerl mit den Stummelzähnen ließ das Haar der Magd los. Sie kroch weinend auf den Alten zu, der so still dalag, dass es ihr Angst machte. Doch bevor sie bei ihm anlangte, riss man sie am Umhang zurück.
»Und jetzt zu dir, Judenhure!« Als einer der Männer seine Beinkleider aufzuschnüren begann, wusste Luzinde, was ihr
drohte. Doch sie scherte sich nicht darum – ihr Blick kehrte ohne ihr Zutun zu dem blutig verschmierten Gesicht des Alten zurück, der vor ihr im Dreck lag. Jemand schleifte sie weg, hinein in die Nische zwischen den beiden Häusern, aus der sie gekommen waren, und warf sie auf einen Misthaufen. »Da hast’es wenigstens warm von unten«, murmelte einer der Kerle, als er sich zwischen ihre Beine kniete und mit den Händen unter ihre Hüften fuhr, um sie zurechtzurücken. Ein anderer riss ihr das schilffarbene Gewand über der Brust auf. Luzinde schloss die Augen. Sie wollte nicht dabei sein, wenn das mit ihr geschähe.
Ein dumpfes Geräusch holte sie zurück. Der Kerl vor ihr war weg und rutschte von der gegenüberliegenden Wand in der dunklen Nische herunter. Ein zweiter stöhnte auf, als ihm jemand ein Knie in den Magen hieb und ihn dann mit beiden Fäusten auf den Rücken schlug, so dass er still zu Boden ging. Von dem dritten hörte man nur noch das Platschen der Schritte in den Pfützen. Dann wurde es ruhig, und jemand beugte sich über Luzinde. Sie zuckte zusammen.
»Nicht! Ich – ich tu dir nichts«, raunte eine dunkle Stimme. Die Magd konnte sie nicht zuordnen, und sie wollte auch nicht. »Komm«, jemand griff nach ihrem Arm und zog sie hoch. »Du bist ja eiskalt.«
Langsam erkannte Luzinde Ritter Wenzel. Die Kraft verließ ihre Beine, doch der Mann hielt sie, so dass sie nicht wieder fiel. Ihr Blick suchte und fand die leblose Gestalt auf der Stra- ße. »Gottschalk?«, fragte sie bebend. Dann wehrte sie Wenzels Hand ab und stolperte vorwärts.
»Er – er ist …«
Doch Luzinde hörte nicht zu. Sie sank neben dem Alten in den Schlamm. Sie drehte ihn vorsichtig herum und wischte Dreck und Blut aus seinem Gesicht. Ein Tritt hatte mehrere
Zähne in seinem Mund zertrümmert. Luzindes Eingeweide krampften sich zusammen. »Gottschalk!«,
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