Die Lichtermagd
Magd an der Witwenhaube der Frau noch mehr: Ihr Mann, Konrad Berainer, musste gestorben sein. Jener Mann, den Luzinde vor langer Zeit geliebt hatte. Und damit brach Luzindes Vergangenheit in die Mauern des Beginenhofs ein.
»Margaret...«, stammelte die Magd. Ihre Hand fuhr zu dem Luzienanhänger um ihren Hals.
»Du bist es also doch, Luzinde«, erwiderte die Witwe. »Ich war mir nicht sicher.« Sie musterten einander einen Augenblick. Dann lächelte Margaret schmal. »Wie ist es dir ergangen?«
»Gut. Gut! Es geht mir gut.«
»Das freut mich. All die Jahre, und wir haben nie wieder von dir gehört.«
Luzinde zögerte. »Ich … ich konnte ja wohl kaum zurückkehren.«
»Nein, das konntest du nicht.« Die Stimme derWitwe schnitt Luzinde kühl ins Herz. »Nach allem, was du getan hast.«
Die Magd senkte den Blick. »Wie geht es den Eltern?«, fragte sie leise.Wie oft hatte sie sich in ihren schwärzesten Stunden zu dem kleinen Haus desVaters Fachinger zurückgesehnt, wohl wissend, dass man sie dort nicht einmal mehr über die Schwelle lassen würde. Der stolze Schreiber hatte sehr deutlich gemacht, was er von seiner jüngsten Tochter hielt. Wegen Unzucht und Mauschelei bin ich aus Nürnberg weggegangen, hatte er gebrüllt, und die Adern an seiner Stirn waren dabei hervorgetreten, wie sie es nur bei Wutanfällen taten. Und du wagst es, den Ruf meiner Familie zu beflecken! Du hast alles verraten, was gut und heilig ist. Und so etwas dulde ich nicht unter meinem Dach!
»Sie sind wohlauf«, erklärte Margaret. »Auch dein jüngster Bruder hat inzwischen geheiratet und zwei Bälger.«
»Ist mein Kind -«
»Nein. Dein Balg ist fort«, unterbrach die Witwe sie.
»Und Konrad? Ich meine – wie ist er -«, setzte Luzinde an, doch sie konnte den Satz nicht beenden.
»Das Fieber.« Eine Pause entstand. »Es wundert mich ein wenig, dass die Meisterin dich hier aufgenommen hat. Sie muss Sünderinnen freundlicher gegenüberstehen, als ich so dachte.«
Als Luzinde weiterhin schwieg, reicherte sich die Stimme der Witwe mit einem unheilschwangeren Lächeln an. »Dacht ich’s mir doch. Sie weiß gar nicht, was du getan hast. Hast ihr Lügen erzählt, wie? Wo du herkommst, warum du verstoßen wurdest …«
Die Magd starrte auf ihre dreckigen Füße. Margarets Worte zerrten Gefühle aus den Kammern ihrer Erinnerungen, die sie für immer unter Verschluss hatte wissen wollen.
»Du hast versucht, mir meinen Bräutigam zu stehlen. Mit den schlimmsten Schlichen, die eine Frau besitzt.«
»Ich wollte nie -«, sprach Luzinde, doch Margaret schnitt ihr das Wort ab. »Keine Ausflüchte, Luzinde.« Die Witwe machte selbst eine Pause, bevor sie mit sanfterem Tonfall fortfuhr. »Aber das zählt jetzt alles nichts mehr. Konrad ist tot. Mich haben sie in dieses Nest geschickt, weil ich kinderlos blieb. Wir beide müssen jetzt zusammenhalten, ja? Vielleicht hat Gott uns hier wieder zusammengeführt.«
Erstaunt blickte Luzinde der Witwe in die Augen. Konnte es angehen, dass die Frau, die auf dieser Welt am meisten Grund hatte, sie zu hassen, in ihrem Herzen die Kraft gefunden hatte, ihr zu verzeihen? Die Magd konnte in den Augen der anderen Frau nicht lesen. Doch Luzinde wünschte sich so sehr, dass
man hier miteinander leben konnte, ohne sich anzufeinden. Also nickte sie. »Ja. Ja, das wäre schön.«
Margaret nahm sie zögernd in den Arm. Diese Geste überraschte die Magd mindestens ebenso sehr wie das Freundschaftsangebot. Vorsichtig erwiderte sie die Umarmung. Die Witwe flüsterte: »Ich werde dein Geheimnis bewahren.«
Damit war es der Magd um ihre Beherrschung geschehen. Sie schloss Margaret Berainer dankbar in den Arm und spürte, wie sich die Feuchtigkeit in ihren Augen sammelte. Ein Teil der alten Last, die ihr nun schon so lange auf den Schultern lag, fiel von ihr ab. »Gott sei Dank. Wie kann ich das nur wiedergutmachen, Margaret?«
»Nenne mich am besten gleich Herrin, Luzinde. Ich bin ab Morgen eine Begine hier, und du nur eine Magd. Und deinen Dank kannst du recht einfach zeigen, indem du einen Teil meiner Arbeitspflicht übernimmst.« Die harten Worte straften den süßen Ton Lügen.
Luzinde riss sich aus der falschen Umarmung und starrte die Witwe an. In deren Augen war nun die Bitterkeit zurückgekehrt, obwohl der Mund lächelte. »Ich sage ja – vielleicht hat Gott uns hier zusammengeführt. Vielleicht bist du in diesem dreckigen kleinen Nest der Lichtblick, der mein Leben versü ßen soll. So kannst du endlich
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