Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Lichtermagd

Die Lichtermagd

Titel: Die Lichtermagd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Falkenhagen
Vom Netzwerk:
nächtlichen Hof noch einmal inne und nahm Abschied. Wie schwer es den Menschen fallen musste,
Heim, Herd und Sicherheit zurückzulassen! Sie wusste selbst, dass man das nur über sich brachte, wenn es sich nicht vermeiden ließ; wenn das Weltgefüge so ins Wanken geriet, dass es keinen Ausweg mehr gab. Die winterlichen Zweige der Hagebutte ragten dürr heran, die schwarzgefrorenen Früchte glitzerten vom Reif. Sie folgte der Pflanze mit den Blicken, die sich teilweise mit langen Ranken an die steinerne Wand krallte und dort Halt fand. Die knorrigenWurzeln bohrten sich in den kaltgefrorenen Boden. Die Rose war hier ebenso verwurzelt wie Mose und seine Familie. Um sie scherte man sich nicht. Sie hatte auf dem Boden Nürnbergs sicher ebenfalls zu kämpfen, doch sie grub ihre Wurzeln auf der Suche nach Wasser immer tiefer in den Felsen.
    Sie erinnerte sich an den Tag, an dem Jakob ihr im Keller den Frosch in den Krug gesetzt hatte. Sie musste lächeln. So lange war das noch gar nicht her. Der kleine Frosch war in den kühlen Felsengang gehüpft und nur schwer wieder einzufangen gewesen.
    Die Erkenntnis durchfuhr Luzinde ganz plötzlich. Die Felsengänge! Sie hastete in den dunklen Felsenkeller, der Mose und Ysaacs Häuser verband. Dort ergriff sie ihr Luzienamulett und schickte ein schnelles Gebet zum Himmel. Die Heilige hatte selbst in der tiefsten Finsternis unter der Erde nicht verzagt. Am Samstag würde man sehen, ob Ulrich Stromer sie ins Verderben führen würde. Doch das Leben so vieler Menschen auf das Wort dieses Mannes riskieren? Ihre Brauen schoben sich nachdenklich zusammen. Sie ließ das Amulett wieder unter das Kleid gleiten und entfernte das Holz aus dem Gangstück, das den Eingang versperrte. Dann wagte sie sich ein paar Schritte hinein. Sie kam an eine Abbiegung. Die unregelmäßigen Gänge waren sehr eng, doch ein Ende war nicht abzusehen. Gerüchte besagten, dass sie ganz Nürnberg durchzogen.
Luzinde holte sich eine Laterne. Es war an der Zeit herauszufinden, ob daran etwas Wahres war.
     
    Die Juden hatten das Haus am Zotenberg gerade verlassen, und Ulman Stromer kehrte zu seinem Oheim zurück. Der stand am Ostfenster und blickte hinunter in den verwinkelten Innenhof, den sich mehrere Judenhäuser auf beiden Seiten des Häuserblocks teilten. Es gab einen Brunnen, ein kleines Hinterhaus und einen Unterstand.
    »Was kann man da nicht alles draus machen!«, murmelte Hosto. »Platz für Pferde und Fuhrwerke. Galerien über alle Stockwerke, mit Holzschnitzereien an den Geländern, die eines Fürsten würdig wären. Ein Haus nur für edle Gäste, so kostbar ausgestattet, dass man dort Könige beherbergen kann.«
    Ulman zog eine Augenbraue hoch. »Deshalb machst du das alles?«
    »Natürlich nicht, Junge. Das ist mein Lohn. Ein Kauffahrerhof, so groß und prunkvoll, wie es sie in Venedig und Florenz gibt. Von Sankt Nikolaus an wird sich Nürnberg nicht mehr hinter solch großen Städten verstecken müssen.«
    Der jüngere von beiden fröstelte unter dem Zug, der durch die Butzenglasscheiben kroch. »Du hast die rechtliche Freisprechung durch den König. Und du hast die Genehmigung, das ganze Viertel dem Erdboden gleichzumachen, um einen Marktplatz zu bauen«, meinte er. »Warum hast du dich auf einmal entschieden, die Juden gehen zu lassen? Nur um schnell und einfach an ihr Geld zu kommen?«
    Hosto Stromer lächelte wie eine Raubkatze. »Wer sagt, dass ich sie gehen lasse?«
    Ulman fand seinen Verdacht bestätigt. »Du willst, dass sie noch ein paar Tage stillhalten, hm?«

    »Mein Junge, du musst strategischer denken«, Hosto klopfte ihm auf die Brust. »Sagen wir mal, es fliehen nur einhundert oder zweihundert von den Juden. Jede Familie darf einen Karren voll Habseligkeiten mitführen. Was werden sie da wohl draufpacken?«
    »Ihre kostbarste Habe vermutlich«, dämmerte es Ulman. »Damit sie anderswo ein gutes Leben anfangen können.«
    »So ist es. Sie zahlen uns Geld für die Ausreise, verpacken ihre Reichtümer für uns und versammeln sich alle an einem Ort. Und wir müssen dort nur bereit stehen und alles in Empfang nehmen. So ein Aufstand ist eine unsichere Sache. Bricht ein Feuer aus, verbrennt vielleicht ein Gutteil der Wertsachen. Durch den Handel mit Mose haben wir zumindest einen Teil als sicheren Gewinn. Was will man mehr?«
    Der Oheim war ein ruchloser Mann. Ulman zog die Schnürung an seinem Wams zu und trat vom Fenster weg, denn er fröstelte. »Du wirst die Juden abschlachten lassen, die

Weitere Kostenlose Bücher