Die Lichtfaenger
habe.
Mit Repressalien waren sie nicht zum Schweigen zu bringen, da half es nicht einmal, ihre Schulen zu schließen und das Kolleg in Brand stecken zu lassen.
»Pater noster, quiet in coelis…«
Schwer schwangen die dunklen Männerstimmen in dem von spärlichem Kerzenschein erhellten Altarraum empor, durch die hohen Kirchenfenster kündigte sich zaghaft der neue Tag an.
Friedrich Spee kniete in der zweiten Reihe, kämpfte mit dem Schlaf und beschloss, nach dem Ende dieses Rosenkranzes seine Kammer aufzusuchen, um sich ein wenig auszuruhen.
Mit einem Mal lag ein hohes, singendes Pfeifen in der Luft, kam näher, immer näher und endete mit einem gewaltigen Einschlag. Splittern, Bersten, ein paar Dachziegel fielen scheppernd auf das Steinpflaster, dann war es wieder still.
Aber nur für einen Augenblick. Im nächsten Moment brach es von der Mosel her über Trier herein, und zwar mit solch brachialer Gewalt, dass manch einer sich in den letzten Winkel des Hauses verkroch, weil er glaubte, der Jüngste Tag sei angebrochen. Über den Dächern zogen kindskopfgroße Kugeln jaulend ihre Bahn, erschütterten die Mauern der Bürgerhäuser und brachten sie teilweise zum Einsturz. Da und dort brachen die ersten Brände aus, warfen ihr flackerndes Licht gespenstisch durch die gelben Seitenfenster der Jesuitenkirche.
Noch während die Haubitzen und Mörser mit einem Schlag verstummten, dafür Trompeten und Trommeln ertönten, krachten die ersten Gewehrschüsse. Die Straßen füllten sich mit verängstigten Bürgern und überraschten französischen Soldaten, die mit Säbeln, Pistolen und Flinten der Mosel zu liefen.
Friedrich Spee hielt es nicht mehr in der Kirche. Mit geraffter Soutane rannte er ins Freie.
»Die Kaiserlichen!«, schrieen die Leute. »Spanier sind es!«, riefen andere. Ein Trupp Reiter sprengte heran, wilde Gestalten auf gedrungenen Pferden, in buntem Rock, mit wehenden Federn am Hut, den Säbel in der Faust, bereit, jeden abzustechen oder niederzuhauen, der sich ihnen in den Weg stellte. Von hinten nahmen sie die Franzosen in die Zange, die sich nun nach beiden Seiten zu wehren hatten. Schreie, Kommandos, Wiehern, Klirren, Schüsse, Harnischgeklapper, Schnauben, Hufgetrappel, Flüche, Stöhnen – alles vermischte sich zu einem einzigen, nicht enden wollenden Aufschrei.
Eines der Pferde ging zu Boden, von einer französischen Kugel getroffen. Der Reiter sprang noch während des Sturzes aus dem Sattel und warf sich mit vollem Gewicht auf den Schützen. Mit zwei, drei kurzen Hieben der scharf geschliffenen Klinge zwang er ihn aufs Pflaster, wollte gerade zum tödlichen Streich ausholen, als er mitten in dem Getümmel und Lärm direkt neben sich eine Stimme hörte.
»Halt!«
Der Landsknecht warf einen Blick zur Seite, stieß dann ein höhnisches Lachen aus. »Hau ab, Pfaffe! Sonst stech ich dich auch ab!« In seinen Augen lag ein gefährliches Glitzern.
Spee beachtete ihn gar nicht, beugte sich über den halb bewusstlosen Franzosen, langte mit beiden Händen unter dessen Arme und schleifte den Stöhnenden weg, hinüber zur Jesuitenkirche. Der Landsknecht ließ ihn gewähren, knurrte etwas Unverständliches und stürzte sich wieder in den Kampf.
Schließlich hatte er anderes zu tun, als sich mit einem Pfaffen herumzustreiten.
Zunehmend füllten sich die Straßen und Gassen zum großen Sterben. Es war ein Hauen, Schießen und Stechen, Mann gegen Mann. Wer an eine Hauswand gedrängt wurde, war so gut wie verloren. Kugeln flirrten, reiterlose Pferde jagten mit panischem Wiehern durch die Stadt, wurden von Trossbuben als Beute für ihren Herrn eingefangen. Klebriger, roter Menschensaft verschmierte die Pflastersteine, versickerte in den Ritzen, jämmerliches Wehklagen der Sterbenden und Verwundeten mischte sich mit dem übermütigen Geschrei derer, die noch am Leben waren und sich für unverwundbar hielten.
Friedrich Spee hastete, rannte, stieg über Leichen, verharrte bei Todgeweihten, spendete Trost und die letzten Sakramente, hielt ihnen die Hand, schloss ihre gebrochenen Augen, zerrte zerschlagene, übel zugerichtete Leiber durch das Getümmel hinüber zur Kirche.
Christenblut, fuhr es ihm durch den Kopf. Katholiken gegen Katholiken, Lutheraner gegen Zwinglianer, Zwinglianer gegen Calvinisten, Calvinisten gegen Katholiken, Katholiken gegen Lutheraner…
Hier zählte nicht die Zugehörigkeit zum Glauben, sondern wer den besseren Sold bezahlte.
»Pater!«
Pater! Wie oft hatte er es gehört in den
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