Die Lichtfaenger
anderen Schöffen geschickt? Aber dass gleich zwei der wichtigsten Leute, nämlich der Amtmann und der Schreiber, nicht anwesend gewesen waren? Wieso hatte es der Kommissar gewagt, unter diesen Umständen überhaupt mit der Marter zu beginnen? Oder durfte er das?
»Wie sollen wir uns da auskennen! Schließlich ist in Rheinbach seit über hundert Jahren niemand mehr gehängt, geköpft, gevierteilt oder verbrannt worden und wir sind Kaufleute, Bauern und Handwerker, die von juristischen Dingen keine bis gar keine Ahnung haben!«, knurrte er.
Richard Gertzen machte einen niedergeschlagenen Eindruck und erwiderte kaum den Gruß, als ihn Hermann Löher am nächsten Morgen aufsuchte. Den Kopf in die Hände gestützt, das Gesicht zerknittert wie altes Pergament und mit dunklen Ringen unter den Augen saß er am Tisch.
»Ich habe es gehört«, sagte er matt. »Furchtbar!«
»Ja, es war furchtbar!«, entgegnete Löher. »Sei froh, dass du das nicht miterleben musstest.«
Als der andere keine Anstalten machte, ihm einen Platz anzubieten, zog sich Löher wortlos einen Stuhl heran.
»Wo warst du gestern?«, fragte er ohne Umschweife.
Richard Gertzen wich seinem Blick aus und murmelte etwas Unverständliches.
»Wo du warst, will ich wissen!«, schnitt Löhers Stimme scharf über den Tisch.
»Geht dich das etwas an?«, blaffte der andere zurück.
»Sehr wohl. Schließlich ist die Böffgen tot. Mausetot. Toter geht es nicht! Du bist Schöffe, genau wie ich. Also, wo warst du?«
Gertzen schob eine volle Tasse Milch zusammen mit einer ebenfalls nicht angerührten Scheibe Brot von sich weg.
»Ich habe keinen Hunger. Es hat mir auf den Magen geschlagen!«
»Was hat dir denn so den Appetit verdorben?«
Am anderen Tischende stieg ein schwerer Seufzer auf.
»Hermann, wenn du wüsstest!«
»Deswegen bin ich ja da!«, entgegnete Löher kalt.
»Irgendetwas ist vorgefallen. Irgendetwas, was nicht nach außen dringen soll. Das spüre ich, wie du da sitzt und herumdruckst! Du bist das schlechte Gewissen in Person!«
In Gertzens Gesicht begann es zu zucken. »Hermann, ich schäme mich. Ich schäme mich in Grund und Boden!«
Langsam hob er den Kopf, sah Löher nun unverwandt an. »Nie hätte ich geglaubt, dass ich mich zu so etwas hergeben würde!«
»Hat es mit dem Gerichtsschreiber, mit Melchior Heimbach, zu tun?«
Gertzen nickte.
»Und mit Schall von Bell?«
Wieder Nicken. »Und mit Dietrich Halfmann und dem Kommissar!«, sagte er dann von sich aus. Er schien nun irgendwie erleichtert zu sein. »Sie haben mich überrumpelt und bis ich gemerkt habe, in was ich da hineingezogen wurde, war ich schon mittendrin!«
Löher schwieg und wartete, bis sein Gegenüber weitersprach.
»Also, das war so«, fuhr Gertzen schließlich fort, »gestern, kurz nach Mittag, kommt der Heimbach bei mir vorbei. Ganz geheimnisvoll tut er, sagt, ich solle um zwei Uhr bei Schall von Bell sein, und als ich antworte, um diese Zeit sei das Verhör mit der Böffgen angesetzt, meint er, das sei nicht so wichtig und sie hatten es mit dem Kommissar abgesprochen.
Als ich zur vereinbarten Zeit ins Zimmer des Amtmanns komme, ist dort auch unser Mitschöffe, der Halfmann. Der Schall tut ganz wichtig, redet von Sicherung von
Beweismitteln und meint dunkel, der Halfmann wüsste da mehr. Der aber steht nur da, sagt nicht piep oder papp. Alle drei scheinen zu wissen, worum es geht, nur ich nicht. Also, gehen wir, sagt der Schall und grinst den Halfmann an. Beim Haus der Böffgen zieht der Halfmann einen Schlüsselbund aus der Tasche und sperrt auf. Na gut, denke ich, der Halfmann und die Böffgen sind Nachbarn und zudem befreundet. Wir sollen ihm folgen, sagt er, gleich würden wir sie sehen, die Zauberutensilien. Zielstrebig geht er in den Keller, löst dort einen Stein und holt eine Schatulle hervor. Als der Heimbach sie aufmacht, geben sich alle drei furchtbar überrascht. Es sind keine Zaubermittel drin, sondern Geld. Viel Geld sogar. Dann tun sie so, als ob sie weitersuchten, und plötzlich hat der Halfmann wieder eine Kassette in der Hand. Natürlich sind wieder alle drei völlig erstaunt, dass auch da nur Geld drin ist.
So geht es weiter. ›Wir müssen das Geld beschlagnahmen‹, sagt der Schall, der Erzlump. ›Vorsorglich, man weiß ja nie!‹
›Vorher sollten wir es aber zählen‹, meint darauf der Heimbach. Oben in der Wohnung finden sie Papier und Schreibzeug und machen sich über das Geld her wie die Säue über den Futtertrog. Alles
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