Die Lichtfaenger
würde. Das darf natürlich nicht geschehen, schließlich ist ja die Folter keine Strafe, sondern dient der Wahrheitsfindung. Doch der Kommissar wollte davon nichts hören. Er schrie die Böffgen an, wie sie denn eine Märtyrerin des Teufels werden wolle, wenn sie nicht zugebe, zaubern zu können. ›Dann stirb doch in Teufels Namen, du alte verstockte Hexe!‹, keifte er. Die Böffgen ließ ihr Wasser ab und sagte mit ihrem letzten Atemzug: ›Ich will in dieser Marter als ein frommer Christenmensch sterben.‹« Löher hielt kurz inne. »Es war in Wirklichkeit alles noch viel schlimmer, ich kann gar nicht erzählen, wie schlimm. Als sie tot war und der Henker dem Kommissar die Schuld daran gab, fing dieser an, wie ein Wahnsinniger unter uns Schöffen herumzulaufen, ganz wie einer, der sich göttliche und kaiserliche Verdammung verdient hat. ›Herbert Lapp, Johann Bewell, habt Ihr es nicht auch gehört, wie es im Hals gekracht hat, als ihr der Teufel das Genick gebrochen hat? Was meint Ihr, Gottfried Peller, ist das nicht eine verstockte Hexe gewesen? Was sagt Ihr dazu, Jan Thynen und Hermann Löher? Ihr habt es doch auch gehört, wie ihr der Teufel das Genick umgedreht hat, nicht wahr? Das hat der Teufel getan, damit sie nicht selig werden und ihre Komplizen nicht verraten konnte!‹ Unterdessen kam Vogt Schwegeler mit dem Gesetzbuch, der Carolina, bei der Tür herein. Als er die übel zugerichtete Böffgen tot am Boden liegen sah, war er kaum zu besänftigen. ›Diese Tat können wir, wenn sie bekannt wird, vor Gott, dem Landesfürsten und den Menschen nicht verantworten‹, sagte er. Dann schrie er wütend auf den Kommissar ein, allerdings in Latein, sodass ich nichts verstand. Buirmann beharrte darauf, der Teufel sei es gewesen, der der Erzhexe das Genick gebrochen habe. Dann hielt er sich die Nase zu und rief: ›Pfui, pfui, pfui, wie stinkt es hier! Der Teufel ist mit faulem Gestank von hier fortgezogen. Pfui, lasst uns von dieser Bestie weggehen!‹ Als die älteren Schöffen etwas im Sinne des Vogtes sagen wollten, brüllte Buirmann sie an und wir Jüngeren getrauten uns erst gar nicht, den Mund aufzumachen.«
»Aber man stirbt doch nicht gleich in der ersten Folter, das habe ich noch nie gehört. Im Übrigen traue ich der frommen Witwe Böffgen die Hexerei nicht zu! Welche Hexe stiftet denn einen Altar?« In Kunigundes Gesicht stritten sich Abscheu, Mitleid und Entsetzen.
Hermann Löher nickte. »Er hat sie vorher schon gefoltert.
Gleich nach der Festnahme fingen sie an, sie zu exorzieren, und als das nichts nutzte, suchten sie unverzüglich nach Hexenmalen. Mit Nadeln stachen sie in ihrem verdorrten, runzeligen Fleisch herum. Dann schor man sie an allen Stellen des Körpers wie ein Türkenschaf, also überall dort, wo sich hätte der Teufel verstecken können und seinen Unfug treiben.
Daraufhin legten sie ihr Beinschrauben an und setzten sie auf den Folterstuhl. Aber du hast Recht, so schnell stirbt man nicht. Aus dem besoffenen Thynen habe ich im Gasthaus herausbekommen, dass dieser hochlöbliche Kommissar von Anfang an nicht von ihr abgelassen hat. Normalerweise müssen sieben Schöffen anwesend sein. Zu Anfang waren jedoch nur der Halfmann und der Thynen dabei. Volle drei Tage hat er sie, wie Vogt Schwegeler sagt gegen das Gesetz, gemartert und unseren beiden Ja-und-Amen-Schöffen hat der Buirmann erklärt, auch der weitberühmte Kommissar Heinrich Schultheiß vertrete die Ansicht, dass die Anwesenheit zweier Schöffen vollständig ausreiche. Uns andere hat man erst zum Schluss geholt…« Mitten im Satz hielt er inne. Mit großen Augen sah er auf seine Frau. »Halfmann!«, sagte er dann. »Wo war der Halfmann? Der war nicht mehr da, als wir anderen kamen, der hat gefehlt!«
»Vielleicht hat er es nicht mehr ertragen. Schließlich war er ja ihr Nachbar und mit ihr befreundet!«, antwortete Kunigunde.
»Ach Quatsch!«, fuhr Löher auf. »Alle haben zu erscheinen, sagt jedenfalls der Vogt!«
Erst jetzt fiel ihm auf, was ihm während der furchtbaren Stunden sonst noch entgangen war. Nicht nur der Halfmann hatte gefehlt, sondern auch Richard Gertzen, ebenfalls Schöffe, weiters der Gerichtsschreiber Melchior Heimbach und der Amtmann Schall von Bell. Er überlegte. Sicher, der Buirmann hatte nicht mit dem so plötzlichen Ableben der Böffgen gerechnet, war aber ziemlich überzeugt gewesen, ihr noch während dieser peinlichen Befragung ein Geständnis abzupressen. Wozu hätte er denn sonst nach den
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