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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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hatten.
    Sollte er noch länger zuwarten? Doktor Jordan drängte, schrieb seitenlange Briefe, malte ihm die Zukunft in hellen Farben aus.
    In seinem Arbeitszimmer schob Burr kurz darauf die obenauf liegende Post beiseite, um an die darunter liegenden Pakete heranzukommen. Braunes Packpapier, mit einem Stich ins Rötliche. Er tippte auf England und hatte Recht. Agrippa von Nettesheim, »Die Unzuverlässigkeit und Eitelkeit der Wissenschaften«, London 1643. Auf dem Umschlag war ein schwarzer Elefant.
    Seine trüben Gedanken waren verflogen wie Herbstnebel im Sonnenlicht. Er wusste, schon Cornelius Loos hatte sich mit diesem Werk beschäftigt. Das hier war eine späte englische Ausgabe, White hatte sie bei einem Londoner Buchhändler entdeckt. Zwar hatte sie Gebrauchsspuren, aber die Leimung war noch einwandfrei. Kurz hielt er das Buch unter die Nase, sog den Geruch ein.
    Packpapier grau, grob gesprenkelt. Ziemlich schwer. Burr ahnte es. Frankreich. Es war ein gewichtiger Wälzer, eintausendeinhundertachtzig Seiten dick, die französische Übersetzung Del Rios von 1611 durch Andre du Chesne.
    George Lincoln wollte nach der Schere langen, um die Kordel zu durchtrennen, als sein Blick auf den Stapel mit den Kuverts fiel. Ganz oben lag ein Telegramm. Wieso hatte er das übersehen? Es kam aus Newark Valley. Hastig entfaltete er es.
    Die Nachricht traf ihn unvorbereitet und wie der Faustschlag eines Boxers unterhalb der Gürtellinie. »Vater tot. William.«
    Fassungslosigkeit machte seinen Körper starr, nahm ihm den Atem und füllte seinen Kopf mit ziehendem Schmerz. Nein!
    Nicht sein Vater! Alles in ihm begann sich zu sträuben. Das war nicht möglich! Sein Vater war zwar betagt, aber rüstig!
    War er nicht noch bei seinem letzten Besuch hinter dem Haus gestanden und hatte Holz gehackt? Hatte nicht noch letzte Woche seine Mutter geschrieben, er plane für das nächste Jahr den Gemüsegarten zu vergrößern? Zögerlich, nur ganz langsam ließ George Lincoln den Gedanken zu und als er ihn akzeptiert hatte, legte er seine Arme auf den Schreibtisch, vergrub den Kopf darin und begann hemmungslos zu weinen.

    Es war eine kleine Beerdigung im engeren Familienkreis, lediglich eine Abordnung der Veteranen spielte am Grab ein Abschiedslied und der alte Peter Maxwell hielt mit zittriger Stimme eine Rede. Die Mutter hatte es arg mitgenommen. Ihre Kinder mussten sie sanft zwingen, den Friedhof zu verlassen.
    George Lincoln blieb noch eine Woche, begleitete die Mutter täglich zum Grab, säuberte die Dachrinne und verarbeitete das restliche Holz.
    Zurück in Cornell, setzte Burr eine Frist von zwei Monaten, verlängerte um einen Monat und dann um noch einen. Aber niemand rührte sich. Dann hatten sie ihn so weit zermürbt und erniedrigt, dass er bereit war, den Brief abzusenden, den er schon vor längerer Zeit geschrieben hatte. Er las ihn ein letztes Mal durch:

    »Lieber Doktor Jordan,
    wie Sie wissen, ist meine Vorstellung von Geschichte keine enge. Nicht die Kriege oder die jeweiligen Regierungen allein sind es, die ein Geschichtsbild ergeben, sondern das Leben der Menschen in ihrer Gesamtheit. Ihre Institutionen, Ideen, ihr Dasein, ihre Hoffnungen, Ängste, Lieben und Irrtümer, erst das alles zusammen ist es. Meine Jungs und Mädels müssen eintauchen in den vollen, pulsierenden Strom der menschlichen Geschichte, sie müssen deren Luft atmen und deren Gedanken denken. Dieser Strom endet nicht, er trägt uns in die Zukunft.
    Es gibt keine Wissenschaft, keine Kunst, keine Erfahrung, nichts, was geholfen hätte, die menschliche Zivilisation und den Charakter mehr zu formen, als das Wissen und das Verstehen um unsere Vergangenheit. Das bedeutet: Bücher, Bücher, Bücher und nochmals Bücher! Nicht irgendwelche, die vielleicht nur Sammlerwert haben, sondern Bücher, die in der Geschichte etwas bewegt haben, die verschüttete Quellen freilegen oder das Denken und Fühlen der Zeit aufzeigen!
    Diese aber sind sehr rar und ihre Beschaffung ist kostspielig.
    Verzeihen Sie meine Weitschweifigkeit, Sie sind selbst ein Mann der Wissenschaft und der Forschung! Sie wissen, dass ich als Historiker nicht Geschichte bin, so wenig wie Sie als Zoologe Natur sind, und ohne Bücher kann Geschichte nicht wirklich studiert werden! Sie sind mein Laboratorium, mein Museum, meine Welt! Ich bin der Führer meiner Studenten und meine Aufgabe ist es, sie zu lehren, wie man sucht, findet und interpretiert! Nur, wenige Bücher sind fast schlimmer als gar

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