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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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der göttlichen Majestät und der Christenheit Feinde, ohne Gefahr der Unschuldigen zu prozedieren«. Heinrich von Schultheiß! Wie viele Jahre schon jagte er diesem Buch hinterher! Schultheiß hatte es auf eigene Kosten in kleiner Auflage drucken lassen und eigentlich hatte sich Burr keine Hoffnungen mehr gemacht, noch irgendwo ein Exemplar aufzutreiben. Er fing an zu lesen. Gehalten war es als fiktives Gespräch zwischen einem Freiherrn Philadelphus des Guten Gewissen zu Gotteshausen und einem Doktor, der die stichwortartigen Einwände des Adligen bezüglich möglicher Falschurteile dahinschmelzen ließ wie frisch gefallenen Schnee in der Märzensonne. Genau besehen war es eine einzige Rechtfertigung und troff geradezu vor bigotter Frömmigkeit. In bizarrem Kontrast dazu stand des Verfassers gnadenlose Herz- und Mitleidlosigkeit. Burr kroch durch die Gehirnwindungen des Hexenkommissars, fühlte dessen Stolz und Triumph, den Schafhirten Thönnissen aus Kallenhardt als leibhaftigen Werwolf überführt zu haben, dessen Befriedigung, der in Hirschberg freigesprochenen Gertrud Koch nach fast einem Jahrzehnt in Anröchte doch noch habhaft geworden zu sein. Er spürte die beleidigte Verärgerung über einen nicht namentlich genannten Landpfarrer, der es gewagt hatte, ihm zu widersprechen. Den Platz zwischen den Zeilen füllte ein fanatischer Eifer, ein von keinem Zweifel getrübtes Bewusstsein, als verlängerter Arm des Weltenlenkers eine gottgewollte Arbeit zu tun, indem er das Unkraut im Weinberg des Herrn ausrottete und ins Feuer warf.

    Burr erwachte, als ihn jemand heftig an der Schulter rüttelte.
    Erschrocken fuhr er hoch, brauchte einen Augenblick, um sich zu orientieren. Durch das Fenster schimmerte bereits matt das erste Licht des heraufziehenden neuen Tages.
    »Oh! Ich bin wohl eingenickt!«, sagte er und sah aus noch schlaftrunkenen Augen auf zu Morse Stephens.
    »Bestimmt hast du seit gestern nichts gegessen, wie ich dich kenne!«, meinte Stephens mit sanftem Tadel und öffnete seine Tasche. »Da! Ein Butterbrot! Habe ich dir mitgebracht!«
    »Weshalb bist du so früh schon da?«, wollte Burr wissen.
    »Während deiner Abwesenheit habe ich eine neue Vorlesung übernommen und wollte dich fragen, ob nicht lieber du sie halten willst!«
    »Welches Thema?«, fragte George Lincoln und nahm einen herzhaften Bissen, während sein Blick über die neuen Bücher glitt.
    »Französische Revolution. Robespierre!«
    »Dein Spezialgebiet! Ich wäre dir dankbar, wenn du damit fortfahren würdest!«, gab Burr zur Antwort.
    Kaum dass Stephens das Zimmer verlassen hatte, vertiefte er sich wieder in den Schultheiß. Vom Glockenturm auf dem Campus wehte das Schlagen des Läutwerks. Elf Uhr. Burr öffnete die Kappe seines Füllhalters und schrieb auf das letzte Blatt: »Dieses Buch ist nach meiner Meinung das grausamste in all der grausamen Literatur der Hexenverfolgung. Ich denke, es ist das frommste und zugleich das grauenhafteste.«

    32

    Mit dem Vogt waren sie noch bestialischer verfahren, als es Freylink angedeutet hatte. Sieben endlose Stunden hatten sie den Schwegeler ununterbrochen tortiert, wie sieben Ewigkeiten zusammen musste es dem armen Mann
    vorgekommen sein. Doch sie hatten kein Geständnis, als sie ihn im Kerker auf eine Pritsche warfen und seinem Schicksal überließen. Nach zwei Tagen wurden seine Wunden brandig, fingen an zu schwären, eiterten und vergifteten das Blut. Wie der Vogt spürte, dass es mit ihm zu Ende ging, bat er um geistlichen Beistand, aber selbst den verweigerten sie ihm hartherzig. Schließlich hätte das ihren vorgefassten Plan zunichte gemacht: Der Scharfrichter bezeugte unverzüglich nach Schwegelers elendigem Tod an Eides statt, der Teufel selbst sei es gewesen, der dem Vogt den Hals umgedreht habe.
    Einem Kommissar, der bei der Verbrennung des Leichnams anwesend war, sei das helle Wasser über die Wangen gelaufen.
    Tausend Reichstaler hätte er gezahlt, wenn er bei dieser Vieherei nicht dabei sein hätte müssen. So seien seine Worte gewesen. Freylink hatte das von einem anderen Priester erfahren, dessen Namen er für sich behielt. Vermutlich Wienand Hartmann. Aber es war in diesen Zeiten gesünder, in Rheinbach Lebende nicht namentlich zu erwähnen.
    Noch etwas anderes war vorgefallen, etwas, was die Löhers selbst betraf. Zwar handelte es sich dabei möglicherweise um eine Falle, eine Finte – doch die Hoffnung begann die Vorsicht zu übertünchen. Ohne Frage, Amsterdam war eine

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