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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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da?«, fragte er fassungslos.
    »Ja. An der Universität in Chicago. Über den Aufstieg der religiösen Freiheit!«
    Langsam tastete er sich zum Tisch hin und stellte den Stapel ab. »Um Himmels willen!«, stieß er hervor. »Das gibt ein Fiasko! Ich habe es vollkommen vergessen und keine einzige Zeile vorbereitet!«
    »Entschuldige bitte!« Das waren die letzten beiden Worte, die Sandy von ihrem Mann bis zum nächsten Morgen hören sollte. Bevor sie zu Bett ging, öffnete sie die Tür zu seinem Arbeitszimmer einen Spalt breit, um ihn dazu zu bewegen, wenigstens etwas zu essen. Er sah nur kurz auf und schüttelte ärgerlich den Kopf. Die nächsten Tage sah sie ihn kaum. Nach dem Unterricht in Cornell vergrub er sich in der Bibliothek und wenn er nach Hause kam, verschwand er sogleich in seinem Arbeitszimmer.
    »Das wird die schlimmste Niederlage meines Lebens!«, sagte er beim Abschied durch das Fenster des Nachtzuges nach Chicago.
    Es kam jedoch ganz anders. War der erste Vortrag noch eher spärlich besucht, füllte sich der Saal zum darauf folgenden bis zum letzten Platz, und im nächsten waren sogar die Gänge belegt. Die Vortragsreihe musste verlängert werden, Burr wurde als Genie gefeiert und die Nachricht davon drang bis nach Cornell. Sandy hatte Mühe, ihren Stolz zu verbergen, schrieb ihm aber, sie verstünde nicht, wieso er sich vor der Abreise wie ein Idiot benommen habe.
    Am letzten Abend ging George Lincoln mit dem Rektor der Chicagoer Universität essen und James Westfall Thompson bat ihn, die Vorträge im kommenden Jahr zu wiederholen. Spät in der Nacht schritt Burr leise pfeifend auf das Gästehaus der Universität zu. Auf seinem Zimmer schlüpfte er sogleich in seinen Schlafmantel. Er öffnete das Oberlichtfenster, das sich an zwei Scharnieren auf der ganzen Länge in den Raum umklappen ließ, und trat, den Waschbeutel unter dem Arm und das Handtuch um den Hals, hinaus auf den Flur, um das Badezimmer aufzusuchen. Noch keine fünf Schritt weit war er gekommen, als ein Windstoß die Zimmertür hinter ihm ins Schloss warf. Plopp! Er sprang augenblicklich zurück, aber es war eine jener Türen, die nur einen feststehenden Knauf besaßen und sich nur mit dem Schlüssel öffnen ließen. Auch das Spähen durch den Briefschlitz half nicht viel. Den Schlüssel sah er zwar – er lag auf dem Tisch am Ende des Raumes. Was tun? Den Hausmeister wecken? Es musste bereits um Mitternacht sein und den alten Mister Parker wollte er um diese Zeit nicht aus den Federn holen. Barfuß stand er im Flur und überlegte, bis ihm das Oberlicht einfiel. Das war es! Eilig rannte er die Treppe hinab, sicherte die Haustür gegen ein mögliches Zufallen mit seinem Waschbeutel. Sein Zimmer lag im ersten Stock und die Fassade stellte sich entgegen seinen Befürchtungen als kein allzu großes Hindernis heraus.
    Während die linke Hand über dem hölzernen Querholm oberhalb des Fensters im Erdgeschoss Halt fand, setzte seine Rechte nach und schwangen die Beine kurz ins Haltlose.
    Dieser Bewegungsablauf fiel zu seiner vollständigen Zufriedenheit aus. Als Nächstes musste er, so seine Überlegung, mit dem Kopf und dem Oberkörper durch die Luke, sich dann, halb auf dem Holm liegend, drehen, um die Beine auf die Innenseite des Zimmers zu bringen. Die Breite des Fensters würde ihm dabei entgegenkommen. Mit Zehen und Fußballen spreizte er sich an dem griffigen Mauerwerk in die Höhe, half mit einem kräftigen Klimmzug nach und schob den Kopf und einen Teil der rechten Schulter in die Öffnung.
    Das Oberfenster war jedoch erheblich niedriger, als es den Anschein gehabt hatte. Wo aber der Kopf durchgeht, passt auch der Körper durch, dachte Burr und zwängte sich weiter bis zur Hüfte. Doch plötzlich ging nichts mehr – weder vor noch zurück. Er steckte fest! Vorsichtig ließ er sich nach vorn fallen, stützte sich mit den Händen auf der Innenseite des Fensters ab, rutschte noch ein paar Fingerbreit nach. Dann war Schluss. Endgültig. Kopfüber im Oberlicht hängend, warf er einen Blick auf die andere Seite der Glasscheibe, sah dort seine behaarten Beine, hell beleuchtet von der brennenden Deckenlampe. Um Hilfe rufen? Lieber nicht. Mit einem verzweifelten Ruck gelang es ihm, seine eingezwängte Hüfte freizubekommen, unternahm er außer Atem den nächsten Anlauf. Immerhin gelang es ihm, sich so zu drehen, dass er nun mit den Beinen voran im Raum hing. Womit er allerdings nicht gerechnet hatte, war der verflixte Mantel. Kaum begann er

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