Die Lichtfaenger
schnaubten aufgeregt ein paar Pferde, der Kutscher saß bereits auf seinem Bock und hatte schon die Bremsen gelöst.
»Wir könnten weiter!«, schrie er ungeduldig herüber.
Gestern war Bartholomäus Löher in Amsterdam eingetroffen, hatte zuerst das Grab seiner vor ein paar Jahren verstorbenen Flerzheimer Großmutter besucht und sich dann sogleich in die Koningstraat begeben. Kunigunde war ganz aufgewühlt, wollte jede noch so winzige Kleinigkeit über seine drei Söhne wissen.
Besonders stolz war sie auf ihren ältesten Enkel, den Hermann, der sechs Sprachen beherrschte. Fließend, wie Bartholomäus versicherte. Das konnte sie natürlich nicht für sich behalten.
Auf dem Markt brauchte sie heute eine Stunde länger als üblich und auch die Nachbarn mussten in Kenntnis gesetzt werden. Wie ein Wasserfall sprudelte sie von ihren anderen Kindern, von der Mathilde, die ebenfalls schon drei hübsche Kinder habe, von ihren zwei anderen Töchtern, wohlerzogen und natürlich von höchstem Liebreiz, von den beiden kleineren Söhnen, der eine Geistlicher und der Jüngste noch in Bonn in der Schule. Da sei er sehr gut, habe der Bartholomäus gesagt.
Ihr Mann Hermann lächelte nicht darüber. In wie vielen Nächten war sie aus der Schlafkammer geschlichen, bis zum frühen Morgen bei einer Kerze in der Stube gesessen, hatte sich bis zur Tränenlosigkeit die Seele aus dem Leib geweint und einen Rosenkranz nach dem anderen gebetet. Wie musste es einer Mutter das Herz zerreißen, wenn ihre unter Schmerzen geborenen Kinder weit, weit weg waren und ohne ihre Liebe, Fürsorge und Vertrautheit in einer fremden Welt aufwachsen mussten! Die Kleinen, die sie nicht trösten konnte, wenn sie nach den Eltern plärrten! Wie viel Angst und Bangnis hatten sich in den Jahren in ihr eingegraben, eines davon könnte in schlechte Gesellschaft geraten, könnte untergehen und verschlungen werden in den Strudeln dieser gewalttätigen und verrohten Zeit! Um wie viel mehr musste es sie mit unbändiger Freude und Stolz erfüllen, dass keine ihrer Befürchtungen eingetroffen war, die Kinder zusammengehalten und sich gegenseitig erzogen hatten!
»Was meinst du, wenn wir den Schall von Bell verklagen? Ich meine, wegen dem Lavoir und der vergoldeten Silberlampe, mit denen ich ihn damals bestechen musste! Da kommt mit Zins und Zinseszins doch ein schöner Batzen zusammen! Was denkst du?«
Bartholomäus hatte Zweifel. »Ich denke, das wird nicht ganz einfach sein nach all den Jahren. Mein Bruder und ich haben sie damals überbracht. Also stehen unsere Aussagen gegen die von der Frau des Schall. Wir waren ja noch halbe Kinder!«
Hermann Löher schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Zehntausend Reichstaler! Zehntausend mindestens haben mich diese Lumpenhunde gekostet! Was sind dagegen die paar hundert Taler, die ihr beide, dazu noch in langen Prozessen, erstritten habt? Jeden Pfennig, den ich bekommen kann, hole ich mir von dem Gesindel zurück!«
Draußen fiel die Haustür ins Schloss. Hermann Löhers Stimme wurde leiser. »Wir reden später weiter, wenn wir allein sind. Die Mutter regt sich sonst nur unnötig auf. Du wolltest mir noch etwas vom Freylink sagen?«
»Ach ja. Ich soll dir ausrichten, die ›Cautio criminalis‹ sei jetzt auch in deutscher Sprache erschienen. Ich war auf dem Herweg über Köln bei ihm. Er hat mir etwas mitgegeben.«
Bartholomäus ging hinüber zur Bank, öffnete dort sein Felleisen und schob ein Päckchen über den Tisch. »Es ist eine Abschrift. Du sollst vorsichtig damit umgehen. Pater Freylink hat es von einem Exemplar abgeschrieben, das er von einem Kölner Professor ausgeliehen hatte.«
Löher entfernte das Einschlagpapier, zum Vorschein kam ein nicht sonderlich dickes Heftchen mit einer Brille auf dem Deckblatt. Im linken Glas war eine Sonne mit hellem Strahlenkranz, im rechten ein Mond, überzeichnet mit einer Schraffur in düsterem, dunklem Grau.
Beigefügt war ein ziemlich knapp gehaltener Brief. »Mein lieber Freund, dass die ›Cautio‹ jetzt auf Deutsch erschienen ist, hat dir sicher dein Sohn schon gesagt. Das ›Brillentraktat‹
hat mir mein Freund Professor Haustadt zur Verfügung gestellt, der Verfasser ist ein Bekannter und Landsmann von ihm und Professor Habbel. Du kennst ja beide aus meinen Erzählungen. Ich lege es vertrauensvoll in deine Hände mit der Bitte, vorsichtig damit umzugehen, da Pfarrer Stappert noch lebt. Anders als die ›Cautio‹, in der der Autor (leider immer noch
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