Die Lichtfaenger
spürte, wie sie sich behutsam löste und sanft entfernte. Noch hielt er ihre Hände und es kostete ihn beinahe unmenschliche Anstrengung, sie loszulassen.
Die Tür öffnete sich einen Spalt.
»Ist alles in Ordnung?«, wollte die Hebamme wissen.
»Ja«, antwortete Burr, »sie ist gegangen!« Langsam stand er auf, faltete Sandys Hände über der Brust, schloss ihr die Augen und küsste zum letzten Mal ihre Stirn.
»Mein Sohn«, sagte er dann, »ich möchte ihn sehen!«
Es war eine kleine Beerdigung gewesen, als sie Mutter und Kind zusammen in einem Sarg der Erde übergeben hatten.
George Lincoln hatte bis dahin mit seiner Trauer allein sein wollen und versucht, den Tod seiner Frau und seines Sohnes möglichst geheim zu halten. Nur Sandys Verwandtschaft und seine beiden Geschwister hatte er verständigt. Als das Hinscheiden dann nach und nach bekannt wurde, traf eine Flut von Briefen ein. Manche waren allgemein gehalten, andere mit christlichen Aphorismen verbrämt, etliche hatten gar nichts anzubieten als die Versicherung des Mitgefühls, aber einige waren darunter, die wirklichen Trost gaben und ihn aufrichteten. Wie der von Morse Stephens:
»Mein liebster Burr,
ich habe es gerade gehört – vor einer Stunde. Mein Herz blutet für dich; ich kann an nichts anderes denken. Ich meine, es gibt auf der ganzen Welt niemanden, der das Glück mehr verdient hätte als du; und all deine Freunde – zu denen ich mich als einer deiner engsten zählen darf – glaubten, dass du es erreicht hättest. Und dann kommt dieser Schlag! Ich bin selbst ein trauriger und einsamer Mann, aber ich habe es verdient.
Aber du – oh mein lieber Burr! Tu etwas – bete, glaube! Auch wenn es kaum Linderung geben kann – aber vielleicht kann doch Freundschaft ein wenig helfen und niemand hat je mehr bessere Freunde gehabt als du! In diesem Moment jedoch muss selbst die wärmste Freundschaft eiskalt erscheinen. Aber ich kann mir nicht helfen, diese wenigen und unzutreffenden Worte zu schreiben, um dir zu sagen, wie sehr ich dich liebe und bewundere und dass mein Herz bei dir ist. Immer und für immer, Dein Morse Stephens, 11. Februar 1909.«
Edna Moffet war Sandys beste Freundin gewesen, stammte ebenfalls aus Virginia und von Jugend an waren sie unzertrennlich, hatten miteinander dieselben Schulen besucht, zusammen hier in Cornell studiert und sich das gemeinsame Zimmer geteilt. Sie schrieb ihm:
»Ich versuche, meine Tränen in Arbeit zu ersticken. Tu es auch! Ihre Liebe hat auch mich reich gemacht. Sie brachte nur Gutes in mein Leben – Süße, Selbstlosigkeit, Nachdenklichkeit.
Mein ganzes Leben werde ich ein besserer Mensch sein dadurch, dass ich sie hatte, und auch der Tod wird sie mir nicht nehmen. Ich versuche auch in meinem Herzen die Schönheit in ihrem Ende zu sehen, auch wenn meine Seele dagegen rebelliert. Vergehen und mit ihrem Kind vor Gott zu gehen in die Glückseligkeit ohne langes Leiden und Trauer, wie es ein langes Leben immer mit sich bringen muss. Das ist die Theologie, die ich gelehrt wurde. Ich weiß nicht, ob ich es glaube oder nicht. Aber ich habe nie ein stärkeres Bedürfnis verspürt, es zu tun. «
Edna Moffet fügte noch hinzu, sie erwarte keine Antwort, aber er tat es dennoch. George Lincoln hatte einfach das Gefühl, sie trösten zu müssen.
»Liebe, liebe Freundin – Schwester, die sie liebte, – sei nicht so verzweifelt!«, schrieb er. »Was die Wahrheit über die Theologie angeht, weiß ich genauso viel wie du. Aber das weiß ich: Eine Frau, deren Leben ich auf eine solche Art zu Ende gehen sah – tapfer, warm, klar, selbstbestimmend, liebend bis zum letzten Atemzug –, ist nicht die Masse eines Lebens, das uns verlassen hat. Als meine Eltern starben, war ihr Leben zu Ende gelebt; ihre Körper brachen zusammen unter der Last der Jahre. Aber Sandys Leben stand in ihrer voller Blüte. Ich habe keine Theorie und wünsche mir auch keine. Aber das weiß ich: In einer Welt, in der ein solches Leben und eine solche Liebe wie ihre sein kann, ist die Seele aller Dinge Leben und Liebe. Und wo solches Leben und Liebe ist, gibt es für mich keine Enttäuschung oder Hoffnungslosigkeit. Selbst wenn mein Glaube umsonst sein sollte, ist er immer noch weise und Gott ist Liebe. Ja, Sandy ist mein für immer, was auch ein lebender Gott mit uns vorhaben mag. Ich weiß nicht, wo seine Inseln sind, wo sich die Palmen der Erkenntnis in die Lüfte recken. Aber in meinem Leben – so wird er mir helfen – wird sie
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