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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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Schlafwandler wankte er ins Wohnzimmer, ließ sich auf einen Stuhl fallen. Dort saß er vornübergebeugt, die Hände verkrampft zwischen den Beinen, und starrte vor sich hin. Das war nicht die ganze Wahrheit, nur ein Teil davon, das war nicht alles. Das spürte, nein, das wusste er.
    Die Hebamme trat zu ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter.
    Langsam, ohne ein Wort zu sagen, stand er auf. »Sandy? Was ist mit Sandy?« Seine Stimme war nur ein Flüstern.
    »Sie hat viel Blut verloren. Ich konnte es nicht mehr aufhalten!«
    Für einen Augenblick erschien Doktor Webbers Kopf in der Tür. »Wasser und Handtücher! Schnell!«
    Burr wollte zu ihm, wollte fragen. Jonathan Webber, sonst die Ruhe in Person, schien sichtlich nervös zu sein. »Später!«, beschied ihn der Doktor knapp und war schon wieder weg.
    George Lincoln wankte zurück zu seinem Stuhl. »Gott«, betete er, »wenn du mir schon mein Kind nicht lässt, so lass mir wenigstens meine Frau!«
    Er wusste nicht, wie lange er da gesessen hatte. Jede Sekunde der Ungewissheit kam ihm vor wie eine Ewigkeit. Sein Denken, sein Fühlen, seine Seele waren jenseits der Tür, waren bei Sandy und seinem toten Kind.
    Endlich kam Doktor Webber, das Gesicht ernst und bedrückt.
    »George«, sagte er, »es fällt mir unsagbar schwer. Ich habe getan, was ich konnte, und werde es weiterhin tun. Aber der Blutverlust ist sehr groß. Es ist zwar jetzt etwas besser geworden…« Er kam nicht dazu, den Satz zu vollenden.
    »Doktor! Schnell!«, rief die Hebamme. »Es geht wieder los!«
    George Lincoln wollte mit ins Schlafzimmer, wurde jedoch zurückgeschoben.
    »Nicht jetzt!«
    Für Burr brach wieder eine Ewigkeit an, voll von Zweifel, Hoffnung und Mutlosigkeit. Wie mochte es erst Sandy gehen?!
    Er fühlte, wie sich bei dem Gedanken sein Gehirn kräuselte.
    Wieder öffnete sich die Tür.
    »Du kannst kurz zu ihr! Aber wirklich nur kurz!«, sagte Jonathan Webber.
    Burr zog seine Schuhe aus, um kein unnötiges Geräusch zu machen.
    Sandy war kaum wiederzuerkennen. Ihr Gesicht war bleich und eingefallen, ihr Haar klebte schweißnass am Kopf.
    »Sandy«, flüsterte er, »Sandy, ich bin es, Jock!«
    Über ihre geschlossenen Augenlider lief ein feines Zittern.
    »Psst! Sie schläft!«, ermahnte ihn die Hebamme.
    George Lincoln fasste behutsam nach Sandys Hand und erschrak. Sie fühlte sich kalt an. Es war eine eigentümliche Kälte, eine Kälte zwischen Leben und Tod.
    Webber bedeutete ihm, dass er mit ihm sprechen wolle.
    »George, du siehst es selbst. Es steht nicht gut um sie.
    Eigentlich müsste sie ins Spital, aber sie ist nicht transportfähig. Ich habe ihr ein Mittel gegeben, damit sie wenigstens keine Schmerzen hat. Das ist alles, was ich im Moment tun kann, aber ich komme jede Stunde vorbei. Die Hebamme bleibt da, das habe ich mit ihr besprochen!«
    Es war schon später Nachmittag, als Sandy völlig
    überraschend die Augen aufschlug.
    »Jock«, flüsterte sie, »mein lieber Jock!«
    Sie war kaum zu verstehen.
    Burr konnte nicht anders und versuchte es auch gar nicht. Das Wasser lief in Bächen über seine Wangen und der ganze Mann bebte. »Mein kleines Mädchen!«, schluchzte er auf. »Mein kleines Mädchen!«
    Der Anflug eines Lächelns huschte über ihr Gesicht. Wie oft hatte er das zu ihr gesagt. Mein kleines Mädchen! Sein ganzes Empfinden lag in diesen drei Worten, die sie nie abwertend empfunden hatte, sondern immer als das, was sie waren, als Ausdruck seiner zärtlichen Liebe und Zuneigung.
    »Ich liebe dich«, hauchte sie und es kostete sie ihre ganze Kraft weiterzusprechen, »ich werde dich immer lieben in alle Ewigkeit und ich danke Gott für jeden Augenblick, den er uns füreinander geschenkt hat!« Erschöpft schloss sie für einen Moment die Augen. »Jock, halt mich fest! Ganz fest!«
    George Lincoln fasste ihre Hände, zog sie leicht zu sich her und drückte einen verzweifelten Kuss auf ihre Fingerspitzen.
    »Jock!« Ihre Stimme klang müde und er spürte, wie Sandy zunehmend schwächer wurde, trotzdem ließ sie seine Hände nicht los. »Jock? Kannst du noch beten?«
    Er nickte. »Ich werde es versuchen. Vater unser, der Du bist im Himmel, geheiligt werde Dein Name, Dein Reich komme, Dein Wille geschehe…«
    Langsam, ganz sacht verglomm das Licht in ihren Augen, die Hände wurden schlaff und ihr Kopf neigte sich kaum merklich zur Seite.
    George Lincoln wagte kaum zu atmen. Sandy war nicht mehr in ihrem Körper, aber sie war hier, war bei ihm, in ihm. Er

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