Die Lichtfaenger
Kristallgläsern, Licht wird es mit dem Drehen eines Schalters, Taschengeld ist selbstverständlich. Aber hier, gleich neben den Hauptstraßen, beginnt eine andere Welt. Hier gibt es keine Avenues, keine Boulevards, keine Revuen und Opern.
Hier draußen schwingt noch die Natur den Taktstock und wer sich nicht an den Takt hält, fliegt aus dem Orchester! Haben Sie sich schon einmal Gedanken gemacht, wo all das herkommt, was auf Ihren weißen Porzellantellern landet?
Heute haben Sie es gesehen!«
Upton hatte inzwischen eine der beiden Lampen in Gang gebracht.
»Professor Burr«, sagte Eimer Strong leise, »ich muss gestehen, davon habe ich nicht einmal etwas geahnt. Amerika ist ein reiches Land, so habe ich immer geglaubt. Dass es hier solche Armut gibt…«
Johnson pflichtete ihm bei. »Herr Professor«, auch seine Stimme hatte jegliche hochnäsige Überheblichkeit verloren,
»ich denke, ich stehe in Ihrer Schuld. Dieser eine Tag hat mir mehr gezeigt und mich mehr gelehrt, als es selbst zwanzig Jahre Studium jemals vermögen würden.« Er schwieg einen Moment, zögerte, dann kam es stockend. »Was die
Wachskugeln anbelangt – meine Mutter ist felsenfest davon überzeugt, man könne die Zukunft aus Karten lesen, sie geht am Dreizehnten nicht aus dem Haus und fürchtet sich vor schwarzen Katzen!«
Inzwischen brannten beide Lichter und bohrten sich in die nunmehr vollends zur Nacht gewordene Dunkelheit.
»Einsteigen! Es geht weiter!«, rief Upton, verstaute die Karbidbüchse unter dem Fahrersitz und reinigte sich mit einem Lappen die Hände.
38
Die Grabrede an jenem kalten Herbsttag 1678 auf dem Sankt Anthoniekerkhof war nicht sonderlich lang. Tringen Löher wusste nicht einmal, welcher Konfession der Priester angehörte. Was hätte er auch viel über den Verstorbenen sagen können? Ein deutscher Immigrant, einer von Abertausenden, ein Tuchhändler, nicht sonderlich erfolgreich, dessen Leben hier in Amsterdam zu Ende gegangen war. Das ließ sich in einen einzigen Satz verpacken. Mit am Grab standen seine Kinder aus erster Ehe, die Köpfe scheinbar andächtig gesenkt, während sie in Wahrheit den Blickkontakt mit Tringen und deren Nachkommen zu vermeiden versuchten. Besonders darum bemüht waren Bartholomäus, der die zweite Frau seines Vaters von Anfang an nicht hatte ausstehen können, und dessen Sohn Hermann. Das beruhte auf Gegenseitigkeit, für Tringen war die Sippschaft der Löhers nichts anderes als eine Bande von Aasgeiern, die nur darauf wartete, sich über die Erbschaft hermachen zu können. Besser gesagt über das, was von dem Vermögen übrig war. Kunigunde, Hermanns erste Frau, hatte in einer Kirche bestattet werden können, für ihn selbst langte es gerade noch für einen einfachen Friedhof.
Tringen musterte unter den Augenlidern hervor die Trauergäste. Palingh, Hendrik Bra und die Nachbarschaft aus der Koningstraat waren da, der Drucker de Jong und eine ältere Frau, die sie nicht kannte. Während sie noch überlegte, wer das sein konnte, kam der Priester zum Ende, zeichnete ein großes Kreuzzeichen über dem Grab, verbeugte sich kurz hin zu den Trauernden und entfernte sich dann gemessenen Schrittes.
Es war nicht so, dass Tringen nicht ein wenig Schmerz über den Verlust ihres Mannes empfunden hätte, doch das Gefühl der Erleichterung überwog. Ihre Ehe war nichts anderes als eine Zweckgemeinschaft gewesen. Mit einem trockenen Aufschluchzen wischte sie sich eine pflichtschuldig hervorgepresste Träne aus dem Auge und nahm mit trauernder Miene die Beileidsbekundungen entgegen. Neben ihr standen mit steinernem Gesicht ihre Kinder, musterten feindselig die Nachkommen des Toten aus erster Ehe, die ihnen nun ihr Erbteil streitig machen würden. Der Bartholomäus und sein Hermann, das seien die Schlimmsten von allen, das hatte ihre Mutter immer wieder gesagt, sogar im Beisein des Stiefvaters.
Nach und nach löste sich die Trauergemeinde auf, sammelte sich vor dem Friedhof wieder in Grüppchen, bevor sie endgültig auseinander ging. Tringen warf noch eine Schaufel Erde auf den Sarg, schlug ein Kreuzzeichen und folgte dann ihren Kindern.
»Frau Löher!« Es war die unbekannte ältere Frau,
offenkundig hatte sie auf sie gewartet. Sichtlich verlegen kam sie näher. »Verzeiht bitte. Ich bin mir bewusst, dass dies eigentlich nicht der Augenblick dafür ist. Ich bin die Witwe von Joachim van Metelen!«
»Van Metelen?« Tringen ahnte nichts Gutes.
»Ja, dem Papierhändler!«
»Und?«, fragte sie
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