Die Lichtfaenger
ließ, der ihm zwar nicht offen widersprach, aber seine Meinung in Haltung und Gestik auszudrücken verstand, während sein Gesicht sich zu keiner Regung verzog. Der Weihbischof hatte es inzwischen aufgegeben, die Widerlegung der Weyer’schen Thesen anzumahnen, da er immer nur wachsweiche Antworten bekommen hatte, denen er glaubte entnehmen zu können, dass Loos zu den Ansichten dieses brabantischen Doktors neigte, was Loos natürlich niemals offen zugeben würde. Als er ihm auf dessen Wunsch hin einen Teil seines eigenen halb fertigen Werkes zur Verfügung gestellt hatte, war es nach einiger Zeit kommentarlos an der Pforte abgegeben worden und Loos daraufhin für vier Wochen nach Mainz verschwunden. Auch nach seiner Rückkehr äußerte er sich mit keinem Wort und Binsfeld hätte sich eher die Zunge abgebissen, als diesen hochnäsigen niederländischen Professor nochmals um seine Meinung zu fragen oder um Hilfe zu bitten.
Nun standen sie sich wieder gegenüber, ihre Blicke kreuzten sich, gingen aber gleich darauf aneinander vorbei. Jeder schien dem anderen weit entfernt zu sein. Nur das Rascheln von Papier unterbrach die Stille.
»Das ist also das Manuskript zur Imprimatur?«, fragte der Weihbischof knapp, während er eine Seite umschlug.
»Ja!«, antwortete Loos einsilbig, indessen seine Augen verstohlen zum Tisch hinüberwanderten. Waren die Akten dort noch bei seinem letzten Besuch lediglich Stapel gewesen, so waren sie nun zu regelrechten Türmen angewachsen. Ebenso unauffällig musterte er den Bischof, der einen müden und abgeschlagenen Eindruck machte.
»Ich werde es überprüfen lassen. Ihr hört von mir!« Seine Stimme klang schleppend und flach.
Kein Wunder, dachte Loos, während sein Blick wieder zu den Aktenbergen ging, das muss ja aufs Gemüt schlagen!
Der Weihbischof räusperte sich leicht, als sein Besucher keine Anstalten machte, sich zu verabschieden.
»Ich hätte noch eine Frage beziehungsweise eine Bitte!«
»Ja, und? Worum geht es?«
Wieder begegneten sich ihre Blicke für die Länge eines Wimpernschlags.
»Sagt Euch der Name Anna Meisenbein etwas?«
»Meisenbein? Meisenbein – Anna Meisenbein… nein, sagt mir nichts! Was ist mit ihr?«
»Ich habe gehört, sie steht im Gerücht!«
»Wo wohnt sie?«
»In Ruwer!«
»Ruwer – das ist Sankt Maximin. Das ist alles Maximin!«, deutete er auf den Aktenberg und begann Mappe für Mappe in die Hand zu nehmen.
»Logen Margreth… Rofer Peter, der Jüngere… Nöfel
Trein… Mirten Eva… Feilen Suin… Steffans Suin… Koch Hans… Sontag Barbara…«, murmelte er. »Rofer Peter, der Ältere, Kochs Greth und Rofer Anna – die wurden alle drei am gleichen Tag hingerichtet. Zeihen Peter… da, Meisenbein Maria…«
»Nein, nicht Maria! Anna!«
Der Stapel wuchs wieder zum Turm.
»Keine Anna!«, sagte Binsfeld, als er das letzte Bündel ablegte. »Vielleicht ist da etwas!«, meinte er dann und langte nach einer Mappe von einem gesonderten Stapel, unter der eine dicke Akte zum Vorschein kam.
»Doktor Dietrich Flade« konnte Loos selbst aus der Entfernung entziffern. Halb schräg darunter lugte der Name
»Johannes Kyllburg« hervor.
Binsfelds Finger glitt inzwischen über eine Liste.
»Das Musiel-Register. Musiel führt genau Buch über die Vorgänge in Maximin! Gegen einen Hans Meisenbein scheint etwas vorzuliegen, aber was, geht hieraus nicht hervor. Aber eine Anna ist nicht vermerkt!«
Als Loos durch die Pforte des Simeonsstiftes wieder auf die Straße trat, schien die ganze Stadt in hellem Aufruhr zu sein.
Kurz vor dem Kornmarkt war kaum mehr ein Durchkommen, in den Gesichtern der Menschen stand Neugier, aber auch Wut und nackter Hass. Es war ein einziges Geschiebe und Gedränge, dem Loos in die entgegengesetzte Richtung auszuweichen versuchte, aber von da strömten immer noch mehr Leute herbei. Als er sich nach einem anderen Ausweg umsah, entdeckte er ein Stück neben sich den Stiftsherrn Johann Linden, dessen Gestalt die Menge um Haupteslänge überragte.
»Was geht denn hier vor?«, wollte Loos, eingequetscht zwischen kreischenden Frauen, wutgeladenen Fuhrleuten, Handwerkern und Bauern, wissen.
»Anscheinend verhaften sie gerade den Flade!«, rief Linden durch den Tumult. »Kommt, schauen wir, dass wir hier wegkommen!«
»Das versuche ich schon die ganze Zeit!«, ächzte Loos.
Wie ein Schiff durch die Wellen, so pflügte Lindens massiger Körper nun mit seitlich vorgeschobener Schulter durch die johlende Menge und Loos
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