Die Lichtfaenger
trockenes Brot einbrockte.
Doch heute war der Tisch leer – zum allerersten Mal. Er legte seinen Mantel ab und wollte gerade in der Küche nachsehen, als es zaghaft an seiner Tür klopfte. Vor ihm stand die Witwe mit verheulten Augen und nestelte nervös an ihrer Schürze.
»Entschuldigt… ich weiß nicht… aber… ich weiß nicht…«
»Ganz ruhig!«, sagte Loos. »Was ist passiert?«
»Entschuldigt bitte!«, fing sie nochmals an, fasste sich dann aber. »Ich weiß nicht, an wen ich mich wenden sollte, außer an Euch! Sie haben die Anna Meisenbein ins Gerede gebracht. Sie soll eine Hexe sein, das haben einige Männer und Frauen beim Amtmann bezeugt!«
»Wer ist Anna Meisenbein?«
»Sie ist eine Jugendfreundin von mir, wir sind miteinander in Ruwer aufgewachsen. Sie hat vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter, ihr Mann ist vor kurzem verstorben. Ich brauche Euren Rat!«
»Nehmt Platz!«, forderte Loos sie auf und schob ihr einen Stuhl hin, während er ein paar Bücher auf dem Tisch zur Seite schob. »Nun der Reihe nach. Sie ist also beschuldigt worden.
Von wem denn?«
»Das weiß ich nicht genau. Aber in Ruwer beschuldigt sich schon der halbe Ort gegenseitig!«
»Ich habe davon gehört. Wo ist sie jetzt?«
Er sah, wie die Frau zögerte. Offensichtlich hatte sie Angst, in die Sache hineingezogen zu werden.
»Fürchtet Ihr, ich könnte etwas verraten?«, fragte er in schrofferem Ton als beabsichtigt.
»Nein, nein«, wehrte sie ab, aber ihre Stimme klang unsicher.
»Es ist in diesen Zeiten nicht einfach, zu jemandem Vertrauen zu haben. Aber ich verspreche Euch, dass alles, was Ihr mir sagt, unter uns bleibt!«
»Sie ist daheim, aber sie weiß nicht, was sie machen soll!«
Loos überlegte eine Zeit lang schweigend, nur der Zeigefinger der rechten Hand trommelte auf die Tischplatte.
»Hat sie Geld?«
»Ja, ihr Mann hat ihr ein nicht unbeträchtliches Vermögen hinterlassen!«
»Ruwer – das gehört zu Sankt Maximin. Der Amtmann Piesport ist nicht gerade zimperlich und die Hinrichtungen haben ein Ausmaß angenommen, dass sie inzwischen Claudius Musiel beauftragt haben, ein Register über die Besagungen und Urteile anzulegen, um nicht den Überblick zu verlieren«, sagte er mehr zu sich selbst.
»Am besten verschwindet sie von hier, solange sie noch kann«, sagte er nach einer Weile bestimmt. »Hat sie irgendwo Verwandtschaft? Ich meine, nicht gerade hier in der Nähe?«
Die Vermieterin dachte kurz nach. »In Köln, glaube ich.«
»Köln? Ja, Köln wäre gut!«
Die Frau schien mit der Antwort nicht zufrieden. Ihre Hände fuhren unruhig über die Schürze, ganz so, als ob sie ein paar störende Falten glätten wollte. »Ich meine… also, es ist so…
Ihr seid ja hier Professor und habt bestimmt bessere Beziehungen als ich. Könnt Ihr nicht…«
Loos schüttelte gequält den Kopf. »Ich bin Professor der Theologie und die Prozesse werden nicht von der Kirche, sondern von den weltlichen Gerichten angestrengt und geführt!«
»Aber Ihr geht doch beim Weihbischof ein und aus!«, ließ sie nicht locker. »Und der ist inzwischen der eigentliche Herrscher von Trier!« Der letzte Satz war ihr herausgerutscht und erschrocken hielt sie inne.
»Sagt das ja nicht laut. Solche Worte können gefährlich werden!«, wies er sie scharf zurecht.
Aber Loos wusste, dass sie Recht hatte. Schließlich wurde auch an der Universität mehr oder weniger offen darüber gesprochen, dass Binsfeld alles tat, um die schon krankhafte Hexenfurcht des Kurfürsten am Kochen zu halten, und ihn damit ziemlich fest in der Hand hatte. Allerdings – und das schien ihm etwas unverständlich, scheute sich der Fürst offensichtlich davor, die Verfolgung der Zauberer in Trier zu verstärken, obwohl Binsfeld zunehmend darauf drängte.
»Also gut!«, sagte Loos. »Ich muss heute noch zum Weihbischof, um für eine Druckerlaubnis für mein soeben fertig gestelltes Gebetbuch anzufragen. Ich werde bei dieser Gelegenheit versuchen herauszubekommen, wie schwer die Besagungen sind. Aber ich kann Euch versichern, der Versuch einer Einflussnahme meinerseits auf den Fortgang ist zwecklos!«
Das Verhältnis zwischen Loos und dem Weihbischof war in letzter Zeit immer angespannter geworden. Zwar begegneten sie sich mit höflichem Respekt, aber selbst Binsfeld, durch die fast schon domestikenhafte Unterwürfigkeit seiner Umgebung längst abgestumpft, spürte, dass er es hier mit einem Mann zu tun hatte, der sich nicht so einfach einschüchtern
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