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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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Verfahren zuzuführen!«
    Irgendwo knackte ein Balken in die mit Entsetzen erfüllte Stille.
    »Wie alt ist denn dieser Hans Cuno?«, fragte Loos nach einer Weile heiser.
    »Jetzt dürfte er so um die achtzehn sein!«
    »Um Gottes willen – dann kann er ja schon zum Tod verurteilt werden. Er redet sich um Kopf und Kragen!«
    »Und er ist sich darüber im Klaren!«, antwortete Linden.
    »Wie bringt man Kinder und junge Menschen zu so
    ungeheuerlichen Aussagen?«, flüsterte Loos leise.
    »Angst – und indem man sie immer und immer wieder mit den gleichen Fragen traktiert, diese aber jedes Mal ein wenig umformuliert und das so lange, bis sie verwirrt genug sind, um felsenfest davon überzeugt zu sein, alles, was sie aussagen, sei wirklich geschehen.« Linden begann vor Loos auf und ab zu laufen. »Versetzt Euch zurück in Eure Kindheit: Da habt Ihr fast alles für bare Münze genommen, was Euch ein
    Erwachsener erzählt hat. Hier aber ist es nicht nur einer, sondern sind es viele, die unentwegt auf Euch einreden, Euch das Gefühl von Wichtigkeit geben, Euch freundlich zur Wahrheit ermahnen, aber sofort böse mit dem Finger oder der Rute drohen, wenn das, was Ihr sagt, nicht ihren Vorstellungen entspricht. Dann liegt Ihr tagelang eingesperrt im Turmverlies, verlassen von Gott und den Menschen, herausgerissen aus Eurer Kindheit, allein mit Euren verzweifelten Tränen. Das Einzige, was Euch bleibt, sind Eure Gedanken und die Phantasie. Und die Phantasie wird von Tag zu Tag mächtiger, sie quillt und wächst von Stunde zu Stunde, sie füllt Euch aus und sie ist alles, was Ihr Eurer Verzweiflung entgegensetzen könnt. In Euren Kopf lasst Ihr nur noch die Bilder, die Ihr auch sehen wollt. Plötzlich könnt Ihr durch Mauern gehen, Ihr bekommt Flügel, fliegt hinaus zu Euren Spielkameraden am Bach daheim in Eurem Dorf, Ihr seid federleicht, schwebt in der sonnenwarmen Luft über lichtüberflutete Hügel und Täler, obwohl Ihr in einem dunklen Loch in feuchtem Stroh auf kaltem Steinboden liegt. Vielleicht landet Ihr sogar unten an der Mosel, badet in dem herrlich klaren Wasser und schwimmt auf die andere Seite des Flusses, obwohl Ihr gar nicht schwimmen könnt? Hast du beim Hexensabbat eine Kutsche gesehen?, fragt Euch Piesport. Nein, sagt Ihr zuerst, aber sie reden auf Euch ein, und je länger sie reden, desto unfreundlicher werden sie. Ja, sagt Ihr dann irgendwann und in Eurem Kopf fängt die Kutsche an zu fliegen. Waren Leute darin? Ja sicher, eine Kutsche ohne Menschen wäre doch unsinnig! Hast du jemanden erkannt? Nein, sagt Ihr. Sie nennen Euch ein paar Namen, mit denen Ihr aber nichts anfangen könnt. Geduldig beschreiben sie Euch die Personen.
    Die Soundso, die ist immer vornehm gekleidet, meistens in Schwarz. Und der Soundso, so ein kleiner Dicker mit einer festen Nase? Er trägt meistens einen samtenen Hut!, hilft Euch
    – sagen wir Musiel – weiter. Sie bringen Euch wieder zurück in Euer Loch, aus dem es nur diese eine und einzige Möglichkeit des Entkommens gibt. Die Kutsche wird golden, sie funkelt und glänzt, gezogen wird sie von kohlenfarbenen Rappen – hat das nicht auch einer der Schöffen gesagt? Die schwarze Kleidung der Frau ist mit goldenen Fäden vernäht, und ist nicht das Wams, das sich über dem Bauch des Mannes spannt, wie seine Mütze aus Samt? Zum Hexensabbat sind sie gefahren, wo du sie getroffen hast? Ja, sicher! Davon habt Ihr schon genug schauerliche Geschichten gehört, aber keine war schauerlich genug, als dass Ihr sie nicht überbieten könntet. Ihr habt ja Zeit und außer der Zeit habt Ihr nichts als Eure Phantasie. Den alten, hässlichen Hexen haben die Unterteufel Kerzen in den Hintern gesteckt – das habt Ihr schon einmal irgendwo aufgeschnappt. Ja, das ist lustig, da müsst Ihr selbst in Eurem Verlies lachen, wie sie gebückt dastehen und ihre Ärsche in die Luft strecken. Wollte sich da nicht eine aufrichten? Nichts da! Sofort ist ein Dämon zur Stelle – seine Hörner sind gebogen wie Dolche, blinkt da nicht ein Edelstein auf seiner Stirn? – und wusch, wusch, streicht seine Rute über das nackte Hinterteil. Hei, ist das ein Spaß! Mit Eurer eigenen Mutter wollt Ihr geschlafen haben, und das bereits im Alter von neun Jahren? Wieso nicht? Schließlich seid Ihr ein Hexer, ja sogar schon mit einer Teufelin verheiratet, die Euch in der Fleischeslust eingehend unterwiesen hat, darüber seid Ihr inzwischen achtzehn, habt da und dort schon einiges mitbekommen. Und haben nicht ein

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