Die Lichtfaenger
gestürzt, der andere wurde hingerichtet, nachdem er in seinem Testament eine beträchtliche Summe der Armenstiftung des inzwischen gestorbenen Hans Kesten vermacht hatte. Die ebenfalls angeklagte Witwe Behr wurde begnadigt und zu einem bußfertigen Leben verurteilt.
»Als nun der ältere Sohn, Hans Cuno, den Richterspruch vor dem Tribunal hörte«, so stand es in Binsfelds unerträglich salbungsvollem Ton, »bat er, vom Eifer für das Heil seiner Mutter entflammt, wie es sich für einen guten Sohn gehörte, man möge sich doch bemühen, diese zu verhaften, damit sie durch kurze zeitliche Schmach und Tod vor der ewigen Strafe gerettet werde. Von der reuigen Haltung des jungen Mannes und den ungeheuerlichen Verbrechen der Mutter zutiefst erregt, schrieb der Offiziat einen Brief an den Kölner Senat.«
Fast konnte man meinen, den Richtern wäre es nur darum gegangen, dem Verurteilten einen letzten Gefallen zu erweisen. Loos war sich im Klaren: Eine offene Anzweiflung der Urteile hätte unabsehbare Folgen nach sich gezogen.
Urteilsschelte war ein schweres Vergehen und wurde entsprechend bestraft.
»Du musst im Vorfeld beginnen«, sprach er laut mit sich selbst, »mit Anna, wie sie in ihrer hoffnungslosen Lage sich geradezu danach sehnt, dass die Anschuldigungen der Wahrheit entsprechen, um sich wenigstens schuldig fühlen zu können, wenn sie es schon nicht war, und mit Hans Cuno, der sich in der seelischen Verwirrung eines Heranwachsenden in immer wahnwitzigere Vorstellungen hineinträumt.«
Er zog ein neues Blatt zu sich her und begann wörtlich aus Binsfelds Buch abzuschreiben, entsprechende Stellen zu unterstreichen und Entgegnungen zu notieren.
» Wer wird nicht Mitleid empfinden mit dieser armen Frau, die so Furchtbares von ihrem Mann erduldet hatte? Aber wer wird den Worten und Erzählungen dieser Frau Glauben schenken können? Ich sage jetzt nicht einmal, dass sie unter Folter befragt worden ist und gestanden hat, sondern nur, dass sie von ihren Träumen und Phantastereien getäuscht worden ist. «
Vorsorglich fügte er hinzu, die Meisenbein sei eigentlich wegen Vergiftung ihres Mannes vor Gericht gestellt worden, und ging auf die bis ins Detail geschilderten Aussagen von Hans Cuno ein, aus denen Binsfeld gefolgert hatte, sie müssten wahr sein, da man so furchtbare Geschichten nicht frei erfinden könnte. War denn diesem Wirrkopf nicht aufgefallen, dass es sich bei den Schilderungen um ein genaues Spiegelbild der Burschenschaften an den Schulen handelte, wobei der Junge lediglich die fromme Struktur durch eine satanische ersetzt hatte?
Je länger Loos’ Feder über das Papier kratzte, desto zorniger wurde er. »Törichtes Gerede… lächerliche Possen…
Wahnvorstellungen eines kranken Gehirns… Erzählungen aus dem unerschöpflichen Fundus des Aberglaubens… aus den Träumen der Nacht fortgesetzte Tagträume… «
Während sein Blick das Geschriebene überflog, kamen ihm Bedenken. Konnte man ihm das als Urteilsschelte auslegen?
Ja, kann man!, kam er dann zum Schluss. Widerwillig tauchte er den Kiel in die Tinte und fügte hinzu, dass es sich bei Hans Cunos Geständnis wahrscheinlich um versteckte Verbrechen handle, die den Richtern als todeswürdig erscheinen mussten.
Hatte Binsfeld schon in seiner ersten Ausgabe die verstärkte Berücksichtigung von Kindern und Jugendlichen bei Besagungen verlangt, so schien ihm nun mit den beiden Meisenbein-Buben der Beweis für die Richtigkeit seiner Forderung erbracht zu sein. Wie tapfer und mutig war etwa der kleine Hans Jakob dem Fiedler gegenübergestanden und hatte ihm auf den Kopf zu gesagt, ihn mehr als zwanzigmal als Hexenmeister auf dem Tanzplatz gesehen zu haben, worauf der Fiedler fast aus der Haut gefahren war, während der Bub ruhig und gefasst bei seiner Aussage blieb?
Loos war klar, worauf Binsfeld hinauswollte. Dem
Weihbischof ging es um nichts anderes als die Aufweichung der Carolina, der peinlichen Halsgerichtsordnung, die für schwer wiegende Anschuldigungen ein Mindestalter der Beschuldiger von zwanzig Jahren verlangte. Auch widersprach sein Zeugnis dem Artikel 66, wonach des gleichen Deliktes Beschuldigte nicht gegeneinander aussagen durften.
Die Zeit war günstig, denn noch hatte sich die Carolina in der Rechtsprechung nicht überall durchgesetzt, noch gab es in den herrschaftlichen Konglomeraten jede Menge Städte, Fürstentümer und Hochgerichte, die weitgehend nach ihren eigenen hergebrachten Gesetzen Urteile fällten. Zudem hatte
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