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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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für ihn, da es zu den Pflichten des Lehrlings gehörte, die Räume zu kehren und aufzuräumen.
    Manchmal, meistens samstags, stand er bis nach Mitternacht an der Presse. Die kleineren Pressen wurden alle mit der Hand bedient, lediglich die größeren Maschinen wurden von einem Generator angetrieben, wobei das Wasser zu dessen Betrieb mühsam von Hand in das oberste Stockwerk gepumpt werden musste. Das war eine Tätigkeit, bei der selbst an schwere körperliche Arbeit gewöhnten Männern die Kraft ausging. Die Späße waren rau, aber das gehörte eben dazu, und der Beruf als Drucker hatte durchaus seine praktischen Seiten. Falls eine Show in der Stadt war, konnte man sich ein paar Eintrittskarten abzweigen oder fälschte sie kurzerhand.
    Als eines Tages die Abonnentenlisten der Zeitung spurlos verschwunden war, kam hektische Betriebsamkeit auf, noch im letzten Winkel des großen Gebäudes wurde gesucht. Allein der junge Burr bewahrte Gelassenheit. Mehrmals versuchte er seinen verzweifelten Chef zu beruhigen, der aber hörte ihm erst zu, als allen klar wurde, dass die Liste der Bezieher des Standard unauffindbar verloren war. George Lincoln hatte sie einige Male in der Hand gehabt und war nun dank seines phänomenalen Gedächtnisses in der Lage, alle Namen und Adressen wie eine Litanei herunterzubeten. Wie sich später herausstellte, vergaß er keinen einzigen.
    Kaum hatte er zweihundert Dollar gespart, kündigte er in der Druckerei und schrieb sich in Cornell ein. Das war 1877, er war zwanzig und damit um einiges älter als die anderen Studenten. Cornell war eine junge Universität, gerade mal zehn Jahre alt, auch der Lehrkörper bestand aus hauptsächlich jungen Männern. Mit seinen fünfundvierzig Jahren war der Präsident, Andrew Dickson White, beinahe ein Methusalem, ein hoch aufgerichteter, breitschultriger Mann mit Vollbart, gescheiteltem Haar und funkelnden scharfen Augen hinter den Brillengläsern. Das Hauptproblem von Cornell bestand darin, dass die Lehrer allesamt ziemlich unbekannt waren und Professoren mit Ruf sich höchstens zu gelegentlichen Gastvorlesungen bewegen ließen. Gute Lehrer kosteten Geld und Geld war etwas, was in Cornell an allen Ecken und Enden fehlte, obwohl der großzügige Stifter Ezra Cornell alles tat, um möglichst genügend aus eigener Tasche zur Verfügung zu stellen oder über Spenden aufzutreiben. Vielleicht aber war es gerade das, was sie näher zusammenrücken ließ. Andrew Dickson White hatte aus der Not eine Tugend gemacht und behalf sich damit, die vielversprechendsten und besten Absolventen der verschiedenen Studienrichtungen als Lehrer zu verpflichten.
    In Cornell wehte ein jugendlich eifriger Geist und die Universität sah ihre Aufgabe darin, die Bildung zur Grundlage der Demokratie zu machen. Hier konnten sich angehende Landwirte, Ingenieure, Journalisten, Beamte und Politiker austauschen, was aus anderen Fächern als Bereicherung erschien, wurde übergreifend in den Lehrplan eingearbeitet, den sich jeder Student frei zusammenstellen konnte. Nur der Hunger nach Bildung und die Liebe zum Lernen sollten der Antrieb sein. Akademischer Schnickschnack und
    aufgeblasenes, geschwollenes Gehabe wurden abgrundtief verachtet. Es gab keine sturen Studienzeiten und abends mussten die Studenten buchstäblich aus der Bücherei geworfen werden. Ihre Gier nach Wissen schien unersättlich und oftmals brachten sie die Lehrer mit ihren Fragen in Bedrängnis. Im zweiten Studienjahr fasste George Lincoln den Geist von Cornell in einem Satz zusammen: »Andere Colleges
    versuchen, Jungs scheinheilig zu machen – Cornell versucht, aus Jungs Männer zu machen!«
    Burr war ein Experte darin, einerseits für ein gewisses Einkommen zu sorgen und andererseits die Ausgaben so niedrig wie möglich zu halten. In seinem ersten Jahr war auch seine Schwester Ella nach Ithaca gezogen, wo sie zur Schule ging und sie beide einen gemeinsamen Haushalt führten, der finanziell weitgehend von George Lincoln bestritten wurde.
    Ella war noch mehr als ihr Bruder aufs Sparen bedacht und kam mit spitzem Bleistift gerechnet für Essen und Kohlen auf drei Dollar pro Woche, schaffte es aber, selbst diesen geringen Betrag noch zu unterbieten, indem fast ausschließlich gekochtes Weizenmehl auf den Tisch kam. Als Ella dann heiratete, wurde George Lincoln die verhältnismäßig große Studentenbude zu teuer und er zog mit einer Gruppe Kommilitonen in ein Haus, das allgemein nur »Der Kampf«
    genannt wurde. Das

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