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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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Binsfeld etwas aufgedeckt, was selbst den Autoren des
    »Hexenhammers« entgangen war oder vielleicht bei dessen Abfassung vor hundert Jahren noch nicht existiert hatte: Kinderhexer! Waren Kinder dem »Hexenhammer« zufolge unschuldige Opfer, die auf den Sabbaten geschlachtet und zu Salben und Tränken verkocht wurden, so hatte er, Petrus Binsfeldius, nun den Nachweis erbracht, dass selbst Kinder furchtbare Untaten zu vollbringen vermochten. Nicht anders konnte es Loos deuten, wenn da stand, Hans Cuno habe sich schrecklicher Laster gerühmt, die nicht weiter zu erwähnen seien. Loos spürte den Stolz, der ihn zwischen den Zeilen heraus ansprang, in denen Binsfeld den Hexenkonvent genau beschrieb und kaum eine Einzelheit ausließ. Sicher kam sich der Weihbischof wie ein großer Forscher vor, der gerade entdeckt hatte, wie man aus Blei Gold machte. Nein, nicht aus Blei, sondern aus Blut!, schoss es Loos durch den Kopf. »Das ist treffend!«, sagte er dann halblaut und schrieb es auf.

    4

    In Liverpool fand George Lincoln Burr einen schon ziemlich heruntergekommenen Lastensegler, dessen Kapitän nach kurzem Schachern bereit war, ihn gegen ein wenig
    Handanlegen an Bord zu einem günstigen Preis nach Bremen mitzunehmen. Kaum auf dem Schiff, wurde er angewiesen, die Kombüse in Ordnung zu bringen und für das Essen zu sorgen.
    Als George Lincoln bewusst wurde, worauf er sich eingelassen hatte, war es bereits zu spät. Die ihm zugewiesene Kajüte hatte bestimmt seit Jahren keinen Besen mehr gesehen. Aus der Matratze, oder besser dem, was als ehemals solche zu identifizieren war, quoll aus ellenlangen Rissen die Füllung und der sie nur mühsam zusammenhaltende Bezug war mit Maschinenfett verschmiert. Die Zudecke sah keinen Deut besser aus und die ursprüngliche Farbe des Kopfkissens war nicht einmal mehr zu erahnen. In der Küche war es noch schlimmer: Die Blechteller starrten vor Schmutz, Essensreste bedeckten den Boden, in die Einfassung des Herdes hatte sich der Dreck eingebrannt und konnte nur mühsam mit einem Spachtel abgetragen werden. George Lincoln malte sich aus, was seine Studenten an der Cornell-Universität wohl denken würden, wenn sie ihn hier mit dem Gleichgewicht kämpfen und mit Pfannen und Töpfen hantieren sähen.
    Auf dem Schiff waren acht Mann, die alle ausnahmslos zum Aussehen des Seglers passten. In ihren ausgemergelten Gesichtern stand Widerborstigkeit oder Resignation und der Umgang miteinander war roh und derb. Es war eine jener zahllosen Männergemeinschaften, zusammengewürfelt vom Schicksal, ohne einen Hoffnungsschimmer auf eine bessere Zukunft. Arbeitslose, entlassene Fabrikarbeiter, ehemalige Sträflinge, Trunkenbolde. Hier war Endstation. Wer erst einmal auf einem solchen Seelenverkäufer gelandet war, hatte kaum mehr eine Chance auf ein besseres Schiff. Burr begegnete ihnen mit Freundlichkeit, ohne sich anzubiedern, und schon am zweiten Tag schien sich in einigen von den Leuten etwas zu verändern. Irgendwie spürten sie wohl, dass der junge Herr mit dem Backenbart nicht auf sie herabsah, und insgeheim imponierte es ihnen, wie er ohne Aufforderung an der Winde mit anpackte, wobei er sich nicht einmal unbeholfen anstellte.
    »Wenn Sie verstehen wollen, wie ein Volk denkt und wie es fühlt, dann müssen Sie nach unten. Je weiter, desto besser. Sie können Zeitungen und Bücher lesen, Ihren Kopf mit akademischem Wissen anfüllen und hochgestochene
    Diskussionen führen, aber Sie werden dem Volk dadurch nicht näher kommen. Erkennen werden Sie es nicht durch die gebildeten, sondern durch die einfachen Leute!« Das war eine seiner Einsichten, die er seinen Studenten in Cornell immer und immer wieder einbläute.
    Nun war er bei denen, die wirklich ganz unten waren, und wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte die Überfahrt längst vorbei sein können. Er hatte diesen Weg gewählt, weil er mit seinem Geld haushalten musste, vielleicht noch mehr, als er es schon sein ganzes Leben lang getan hatte.
    Der Einstieg zu seinem Studium an der Cornell-Universität in Washington D. C. war das buchstäblich vom Mund abgesparte Geld gewesen, das er sich als Drucker verdient hatte. Gegen den Willen des Vaters hatte George Lincoln damals die Lehre angetreten. Hart war seine Berufsausbildung gewesen, um vier Uhr aufstehen, frühstücken, ein wenig lernen und dann eine gute Stunde Fußmarsch zu seiner Arbeitsstätte. Arbeitsbeginn um sieben Uhr, um sechs Uhr abends war zwar für die anderen Schluss, nicht aber

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