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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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sein Geschichtsverständnis an einer europäischen Hochschule vertiefen würde. Leipzig hatte er auch deswegen gewählt, da hier etwa zwei Drittel der Studenten von außerhalb des Deutschen Reiches kamen, von denen die Amerikaner den größten Anteil ausmachten. Weitere große Gruppen stellten die Schweizer und die Österreicher, aber auch Russen und Bulgaren waren stark vertreten. Dies hatte sicher mit dem Ruf der Lehrfreiheit der Universität zu tun, aber bestimmt noch mehr mit den niederen Kosten für die Lebenshaltung. Dieser Umstand erleichterte Burrs Entscheidung, ausschlaggebend war jedoch gewesen, dass White die historische Fakultät als beste in Deutschland empfohlen hatte.
    Mit Franz Stieglitz, der aus Siebenbürgen stammte und acht Jahre jünger war, ging er auf das graue Gebäude zu, das die Bibliothek beherbergte.
    »Ja, Buch-Herberge, nicht Bibliothek, das ist der richtige Ausdruck. Wie soll man unter solchen Umständen
    Nachforschungen und Vergleiche anstellen? Mir kommt es vor, als ob hier die Bildung nicht gefördert, sondern eher alles getan wird, sie zu behindern. Schau dir doch den Lesesaal an!
    Lesesaal? Ha, dass ich nicht lache! Eher eine größere Kammer, selbst das Lehrerzimmer in Cornell ist geräumiger!«
    Stieglitz sah ihn von der Seite her an und wagte einen zaghaften Einwurf, den Burr ärgerlich zur Seite wischte.
    »Ich bin hierher gekommen, um etwas zu lernen, nicht um meine Zeit zu verplempern. Das ganze System ist ineffizient und marode. Ein Lesesaal, der nur drei Stunden am Tag geöffnet ist – wo gibt es das sonst noch? Bücher werden nur an zwei Stunden ausgegeben! Dazu müssen genauer Titel und Autor auf einen kleinen Zettel notiert und am Vorabend in einen Karton vor der Tür gelegt werden. Wenn du einen weiteren Band benötigst oder ein falsches Buch erwischt hast, so ist das Pech und du musst einen weiteren vollen Tag warten.
    Es gibt nicht einmal ein Verzeichnis über die Bestände! Falls du nicht exakt weißt, was du benötigst, kannst du nur hoffen, dass der Bibliothekar mit Erleuchtung durch den Heiligen Geist irgendwann das Richtige findet! Und erst die Bücher selbst! Der reinste Hohn! Letzte Woche suchte ich nach Leckys »Geschichte der europäischen Moral«, seit über zehn Jahren ein Standardwerk! Wo findest du es? Genau! Es steht in jeder Buchhandlung, aber weder in der Universität noch in der Stadtbücherei!«
    »Ja, das ist schon ein Ärger!«, pflichtete Stieglitz nun bei.
    »Selbst wenn ein Werk verfügbar ist, dann oft nur in einem einzigen Exemplar! Wir sind dazu übergegangen, manche Werke selbst zu kaufen und uns den Anschaffungspreis zu teilen!«
    Der enge Leseraum, in dem glühende Kohlen in einem gusseisernen Ofen für etwas Wärme sorgten, war hoffnungslos überfüllt und die feuchten Gewänder der Anwesenden verdichteten die Luft zu einem dampfenden, stickigen Konzentrat. Natürlich war Leckys »Geschichte des
    Rationalismus« nicht vorhanden, nicht auffindbar, ausgeliehen oder was auch immer.
    »Selbst auf die Gefahr hin, dass ich überheblich klinge, mein lieber Franz«, meinte Burr ärgerlich, »eine Bibliothek sollte wenigstens über die gängigsten Bücher verfügen und von diesen mehr als nur ein einziges Stück besitzen. Und sie sollte nicht nur die Heimat der Bücher sein, sondern auch die Heimat der Leser! Aber langsam verstehe ich, warum der Saal nur drei Stunden täglich geöffnet ist – länger hält es hier sowieso niemand aus. Wie soll man sich zwischen triefenden Nasen, scharrenden Stühlen, flüsternden Stimmen, Husten und unruhigen Schritten konzentrieren können?«
    Gerade war er im Begriff, den Leseraum zu verlassen, als ihm John Meyers aus Ontario über den Weg lief. »Wir planen in nächster Zeit ein kleines Fest! Wenn Sie… ich meine, wenn du willst, bist du herzlich eingeladen!«
    Immer noch hatten einige Scheu davor, ihn zu duzen. War er doch um etliches älter als die meisten von ihnen und war es doch aufgekommen, dass er selbst Lehrer an einer Universität war – obwohl es Burr geheim zu halten versucht hatte.
    »Vielen Dank!«, erwiderte er freundlich. »Aber ich werde zusehen, möglichst bald für einige Zeit von hier
    wegzukommen, um mich ein wenig in Berlin umzuschauen!«

    5

    Die Zelle in Sankt Maximin war eng, kalt und feucht. An der Längswand eine schmale Pritsche mit ein paar löcherigen Decken, ein altersschwacher Tisch und ein ebensolcher Stuhl –
    das war alles. Aber Cornelius Loos war mit seinem Schicksal

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