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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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einen kleinen Koffer und eine Aktentasche, auf den Boden gestellt. Ruhig glitt sein Blick über die dahineilenden Menschen, streifte für einen Augenblick den aufgeputzten und ausladenden Hut einer Dame und blieb schließlich an den Gesichtern von drei behäbigen Männern hängen, die sich angeregt miteinander unterhielten.
    Eine Weile blieb er so stehen und versuchte die Eindrücke in sich aufzusaugen. Das war sie also, die Hauptstadt des Deutschen Reiches. Über allem lag eine unbestimmte Atmosphäre, von der er nicht wusste, wie er sie deuten sollte.
    Wichtig! Ja, wichtig!, so entschied er nach einer Weile.
    Wichtig sahen die imposanten Gebäude aus und ebenso viele der Gesichter. Hier also hatte Andrew Dickson White studiert und hier war er als Minister der amerikanischen Regierung bei Reichskanzler Otto von Bismarck ein und aus gegangen.
    Burr hatte in seinen letzten Briefen darum gebeten, die Post nicht mehr nach Leipzig, sondern postlagernd nach Berlin zu senden. Es war ein ganzer Packen, der nun im Postamt zur Abholung bereitlag, weit mehr, als er erwartet hatte. Er überflog die Absender, zwei Kuverts stammten von White, einige von seinen Studenten, auf einem zartrosafarbenen Umschlag erkannte er Pees fein geschwungene Handschrift und es gab ihm einen feinen Stich. Pee! Wie sehr er sie vermisste, ihr helles Lachen, den schelmischen Blick ihrer blauen Augen und ihre Wärme. Er musste sich dazu zwingen, den Brief nicht an Ort und Stelle zu öffnen. Warm durchflutete es ihn, er hauchte einen flüchtigen Kuss auf das Kuvert und schob es vorsichtig in seine linke Jackentasche, direkt über seinem pochenden Herzen.
    Ein Kuvert aber öffnete er an Ort und Stelle. »Lieber Mister Burr«, las er, »es tut mir unsäglich Leid, dass ich Ihnen so viele Unannehmlichkeiten bereitet habe. Ohne Sie wäre ich nicht mehr in der Lage, einen Brief zu schreiben. Bis ans Ende meines Lebens werde ich tief in Ihrer Schuld stehen. Vielleicht mag es undankbar erscheinen, dass ich mich nicht schon früher bei Ihnen gemeldet habe, aber ich lag im Krankenhaus, da ich mir in meiner Verzweiflung die Pulsadern aufgeschnitten hatte, allerdings stümperhaft und man hat mich noch rechtzeitig gefunden. Ich war fest entschlossen, sofort nach meiner Entlassung einen zweiten Versuch zu unternehmen, diesmal mit sichererem Ausgang. Auch Ihr Brief konnte mich anfangs nicht umstimmen, doch dann erfuhr ich, welche
    Anstrengungen es sie gekostet hat, meinetwegen ein Schiff aufzuhalten. Allein schon das hat mir aufgezeigt, dass niemand auf dieser Welt allein ist, solange es auch nur einen einzigen Menschen gibt, der an ihn denkt und sich für ihn einsetzt. Mein Verhalten war selbstsüchtig und unverzeihlich, für diese Erkenntnis habe ich einige Zeit gebraucht. Sie waren es, der mir die Augen öffnete, Sie waren einer der wenigen Menschen, die mich ernst genommen haben. Sie als Einziger haben nicht versucht, mich von meinem Vorhaben abzuhalten, sondern akzeptierten meine Entscheidung und meinen Willen. Ich weiß nicht, ob das Rezept funktioniert hätte, will es auch gar nicht wissen. Mir wurde gesagt, dass Sie sich noch längere Zeit in Europa aufhalten, aber ich werde mich bei Ihrer Rückkehr umgehend bei Ihnen melden, um mich nochmals persönlich zu bedanken. Gott segne und schütze Sie.
    Ihre in tiefer Schuld stehende
    Joana Shriver«
    George Lincoln faltete den Brief zusammen und steckte ihn in die Aktentasche. Er wollte sich noch ein wenig in der näheren Umgebung umsehen, kam aber nicht weit. Vor dem Schaufenster eines Buchladens blieb er stehen und studierte die ausgestellten Titel. Kurz entschlossen betrat er daraufhin den Laden.
    Scheppernd schlug die Türglocke an. Ein großer, schwerer Mann, offensichtlich der Besitzer, erhob sich umständlich hinter dem Tresen und schob seine Brille auf die Stirn. »Guten Tag, mein Herr, kann ich Ihnen behilflich sein?«
    »Führen Sie auch Antiquariate?«
    Der Buchhändler nickte und deutete mit der Hand nach hinten in den Raum, dessen Ende in der Düsternis nicht auszumachen war. »Sucht der Herr etwas Bestimmtes?«
    »Nein. Aber Sie haben sicher eine Liste oder ein
    Verzeichnis?«
    Aus dem Regal hinter sich fischte der Mann eine dicke, schwarz gebundene Kladde und reichte sie Burr, der seinen Zeigefinger von Zeile zu Zeile gleiten ließ, bis er auf der dritten Seite fündig wurde.
    »Albertus Magnus, ›Summe de creaturis‹, könnte ich das einmal sehen?«
    »Selbstverständlich!«
    Der Albertus Magnus

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