Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
Vom Netzwerk:
war in einem erbarmungswürdigen Zustand. Es handelte sich um einen unvollständigen Teildruck, dem im Lauf der Zeit auch noch eine Reihe von Seiten abhanden gekommen war. Jedes Buch hatte seinen eigenen Geruch, atmete den Geist der Vergangenheit, dieses aber stank nach Moder, Schimmel und feuchtem Keller. Zudem waren einige Blätter unlösbar miteinander verklebt.
    »Dieses Buch hier«, Burr hob es leicht in die Höhe, »ist nichts wert.«
    Sollte das wieder eine der üblichen Finten sein, um den Preis zu drücken?, fragte sich der Buchhändler. Das kannte er zur Genüge. Da kamen sie, drehten die Bücher hin und her, blätterten sie von vorn bis hinten durch, während ihre Gesichter immer gelangweilter dreinsahen, und begannen an allem Möglichen herumzumäkeln, weil sie glaubten, er würde dann schon von sich aus einen günstigeren als den ursprünglich angesetzten Preis fordern, den sie dann noch weiter herunterhandeln könnten.
    »Was würden Sie denn dafür bezahlen?«
    »Keinen Pfennig«, erwiderte George Lincoln freundlich,
    »weil es wirklich nicht von Wert ist. Höchstens für jemanden, der Bücher wegen ihres Alters, nicht aber wegen ihres Inhalts sammelt! Sehen Sie selbst, wie viele Seiten fehlen oder verklebt sind.«
    Zum Gehen entschlossen wandte er sich um und stieß dabei mit dem Ellbogen an einen am Thekenende gestapelten Stoß Bücher, von denen die obersten vier ins Rutschen kamen. Er versuchte noch sie aufzufangen, aber es war schon zu spät.
    Dumpf schlugen sie auf dem Boden auf. Hastig bückte sich Burr, um sie aufzuheben, hielt dann aber mitten in der Bewegung inne. Aus einem der Exemplare waren einige bedruckte Zettel herausgefallen. Erst dachte er, es seien Lesezeichen, aber es waren Artikel aus Zeitungen.
    Offensichtlich waren sie ehemals eingeklebt gewesen, aber der Klebstoff war im Lauf der Zeit spröde und müde geworden.
    Unter mehrfachen Entschuldigungen für sein Missgeschick versuchte George Lincoln sie den ursprünglichen Stellen zuzuordnen, überflog dazu kurz die Überschriften. Es war ein wahlloses Durcheinander, hauptsächlich ging es um lokale Ereignisse vor etwa hundertfünfzig Jahren. Nichts von Bedeutung. Doch auf einmal stutzte er, zog den bereits eingelegten Ausschnitt wieder heraus und las ihn aufmerksam durch. Es ging um einen Hexenprozess hier in Berlin. Um 1728 hatte ein Gerücht genügt, die Dorothea Steffin sei eine Hexe, und aus Angst vor der Folter hatte diese dann sofort zugegeben, mit dem Teufel verbündet zu sein, um
    unbeobachtet stehlen zu können. Zwar wurde sie nicht mehr verbrannt, sondern nur noch zu lebenslanger Zwangsarbeit verurteilt, was aber vermutlich ebenfalls einem Todesurteil gleichkam.
    »Was möchten Sie dafür haben? Ich meine, nicht für die ganze Sammlung, sondern für diesen einen Zeitungsartikel?«, fragte er und es klang beinahe entschuldigend.
    Der Buchhändler warf kaum einen Blick darauf. »Ach was«, lachte er, »nehmen Sie ihn mit!«
    »Nein, das möchte ich nicht!«, entgegnete Burr, kramte aus seinem Geldbeutel ein paar Münzen und legte sie auf die Theke.
    Dann machte er sich auf den Weg zum Anhalter Bahnhof.
    Ein Kommilitone aus Leipzig hatte ihm die Adresse einer Frau in Lichterfelde genannt, die gelegentlich gegen ein geringes Entgelt ein Zimmer vermietete.
    Beim Schaffner kaufte er ein Billett zu zwanzig Pfennig, was ihm für die kurze Strecke als horrend teuer erschien, während sich der Wagen mit schneidigen Militärs der in der Nähe liegenden Hauptkadettenanstalt füllte. Mit einem bis ins Mark gehenden Aufkreischen fuhren die Wagen los, schoben sich zunehmend schneller den glänzenden Schienenstrang entlang, rumpelten quietschend über Straßenübergänge, wobei die Wagons bedenklich hin- und hergeworfen wurden, während der elektrische Generator des Triebwagens von alldem unberührt einen tiefen, gleichmäßigen Brummton von sich gab.
    In der Straßenbahn hing ein Geruch aus Lederfett und Zigarrenrauch.
    Da, wo George Lincoln aus der Straßenbahn stieg, waren die Häuser noch stattlich, zeigten Wohlhabenheit und Stolz. Sie waren mehrstöckig, neu oder sogar noch in Bau. Doch nur wenige Schritte dahinter sah es anders aus. Trostlos. Das Grau der Wände schien bemüht zu sein, sich dem Grau des verhangenen Himmels anzupassen, die steinernen Vortreppen waren ausgetreten, die Fenster hatten einen stumpfen Blick, der Putz war von Salpeter zerfressen und das Holz der Haustüren rissig.
    Ein Windstoß scheuchte eine Wolke Rauch

Weitere Kostenlose Bücher