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Die Lichtfaenger

Die Lichtfaenger

Titel: Die Lichtfaenger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elmar Bereuter
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sich das Gegenteil von Zugfahren, für Burr aber eine wunderbare Ergänzung. Die Bäume standen in voller Blüte und außerhalb der Stadt roch die Luft bestimmt nach Frühling.
    Doch gestern hatten sich von Westen her zuerst ein paar einzelne, dann immer mehr dunkle Wolken herangeschoben, hatten sich zunehmend verdichtet und schwer über das Land gelegt. Die Quecksilbersäule des Barometers im Hausgang hatte gestern Abend auf sein Antippen hin zwar einen leichten Zucker nach oben gemacht, aber jetzt drang durch das halb geöffnete Fenster kühler Wind und vom Dach her das eintönige Trommeln des Regens. Enttäuscht zog er sich die Decke über den Kopf, stand wenig später doch auf, kleidete sich an und schritt zielstrebig hinüber zur Stadtbibliothek. Vor ein paar Tagen erst hatte er dort eine kleine unscheinbare Tür bemerkt, die verschlossen war, und den Bibliothekar Max Keuffer darauf angesprochen.
    »Ach«, hatte dieser mit einer abwertenden Handbewegung gemeint, »da war schon seit ewigen Zeiten niemand mehr drin.
    Irgendjemand hat einmal die Bestände der Bibliothek gesichtet und das wertlose oder uninteressante Zeug in diesen Raum gebracht. Ich weiß nicht einmal, wo der Schlüssel ist, aber ich werde in den nächsten Tagen danach suchen.«
    Nun standen sie beide vor der Tür, Keuffer mit einem eisernen Ring in der Hand, an dem eine Menge verrosteter Schlüssel hingen. Umständlich hielt er einen nach dem anderen ins Licht und murmelte: »Nein, der passt nicht… der auch nicht… der auch nicht… der ist es auch nicht!«
    Burr wurde ungeduldig, spürte das ihm nur zu gut bekannte Kribbeln im Magen. Sein Jagdinstinkt raunte, dass er etwas Geheimnisvollem auf der Spur war. Endlich schien der Bibliothekar einen Schlüssel gefunden zu haben, der passen könnte. Aber so fest er ihn auch im Schloss drehte, die Tür ließ sich nicht öffnen. Schon wollte er es mit dem nächsten Exemplar versuchen, als ihn George Lincoln bat, es einmal probieren zu dürfen.
    Leicht hob er die Tür am Griff an, ein kurzer Ruck, ein rostiges Quietschen – und sie war einen Spalt breit offen. Von oben her rieselten Staub und Dreck, vertrocknete Käfer und Fliegen. Burr wartete einen Augenblick und stieß dann die Tür ganz auf. Wie es aussah, hatte wirklich seit Ewigkeiten niemand mehr den Raum betreten. Überall, an den Wänden, von der Decke, an den Regalen hingen Spinnweben dicht an dicht, die sich sofort in seinen Haaren und im Bart verfingen.
    »Wartet einen Moment!«, meinte Keuffer, verschwand und kam gleich darauf mit zwei Besen zurück.
    Durch die schmalen Fenster konnte sich das Licht nur mühsam gegen den auf den Scheiben abgelagerten Staub behaupten. Burr versuchte sie zu öffnen und hätte sie vielleicht sogar aufbekommen, aber so verklemmt, wie sie waren, hätten sie sich vermutlich nicht mehr schließen lassen.
    »Donnerwetter!«, entfuhr es dem Bibliothekar. Einen so großen Bestand hatte offensichtlich auch er nicht erwartet. In dem düsteren Raum standen reihenweise Regale, fast alle waren sie voll mit Büchern. Vergessenen Büchern, denen niemand mehr Beachtung schenkte und die nur noch deshalb dastanden, weil es irgendjemand nicht übers Herz gebracht hatte, sie wegzuwerfen.
    »Ich muss wieder nach unten. Sonntags ist immer ziemlich viel los!«
    Burr nickte und trat hinaus auf den Gang, um abzuwarten, bis sich der aufgewirbelte Staub gelegt hatte. Der Bibliothekar wäre ihm keine große Hilfe gewesen, da nicht einmal er selbst eine Ahnung hatte, wonach er überhaupt suchen sollte. Wie George Lincoln schon bald feststellte, stand alles willkürlich durcheinander. Das meiste waren alte Rechnungsbücher, Akten über belanglose Streitereien sowie – wie sollte es in Trier auch anders sein – eine Reihe frommer Traktate der theologischen Fakultät. Und über alldem lag Staub, stellenweise fingerdick.
    Er würde nicht darum herumkommen, jedes Buch einzeln in die Hand zu nehmen und zu sichten. Schon nach einer Stunde war seine Nase verstopft und die Augen tränten. Seit gestern Abend hatte er nichts mehr gegessen, sein leerer Magen begann sich zu melden, aber als er im Gang an einem Spiegel vorbeikam, wurde ihm klar, dass er so, wie er aussah, in keinem Gasthaus etwas bekommen würde. Burr musste lachen, als er den Gesichtsausdruck des Bibliothekars sah, den er um Wasser bat, um den Staub aus seiner kratzenden Kehle zu spülen und sein Hungergefühl zu überlisten.
    Ein Platzregen zog über die Stadt, das durch die

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