Die Lichtfaenger
Jungen versuchten an ihre Zitzen zu kommen, aber sie ließ nur eines an sich heran. Das andere schubste sie immer wieder von sich weg, trat nach ihm und jedes Mal, wenn Madame Aintroux es auch nur in die Nähe brachte, machte die Mutter einen Satz zur Seite oder nach vorn. Aintroux packte das Schaf blitzschnell am Kopf und seine Frau versuchte das jämmerlich blökende Lämmlein anzulegen, doch die Alte wehrte sich mit ganzer Kraft und wollte der Umklammerung entkommen. George Lincoln überlegte nicht lange, trat breitbeinig hinter das Schaf und klemmte es wie ein Reiter mit starkem Schenkeldruck fest.
»Bei Zwillingsgeburten verstoßen sie manchmal eines von beiden, meistens das Zweitgeborene«, presste Gerard zwischen den Zähnen hervor, als sich das Tier langsam zu beruhigen und seinen Nachwuchs, wenn auch zögerlich, zu akzeptieren schien.
Nach einer Weile lockerten die beiden Männer die
Umklammerung und als sie das Tier ganz freigaben, blieb es ruhig stehen. Madame Aintroux entfuhr ein Seufzer der Erleichterung, während Burr an sich heruntersah. Gott sei Dank hatte er heute früh seine dunklen Hosen angezogen, da sah man den Schmutz nicht so sehr. Madame bedankte sich überschwänglich für seine Hilfe und verabschiedete sich dann, da im Haus noch Arbeit auf sie warte.
»Sie wollten mir noch etwas über de Lancre erzählen!«, meinte George Lincoln, nachdem er eine Zeit lang die Geschicklichkeit des schwarzen Hundes bewundert hatte, der auf einen Pfiff seines Herrn hin die verstreute Herde zusammentrieb.
Gerard Aintroux überlegte einen Moment lang. »Ach ja, die Werwolf-Geschichte. Ich habe die Geschichte von unserer Nachbarin, Madame Soutier, Gott hab sie selig, sie ist vor ein paar Jahren hochbetagt gestorben. Sie wiederum hatte sie von ihrer Großmutter, die ausdrücklich den Namen Pierre de Lancre erwähnt haben soll. Madame Soutier war, wie viele Leute noch heute, überzeugt, dass sich Menschen in reißende Wölfe oder andere beliebige Tiere verwandeln können. Also, die Geschichte: Ein Mädchen hütete hier im Departement Bordeaux zusammen mit einem Buben Vieh. Am helllichten Tag wurde die Kleine von einem Wolf angefallen, worauf sich ein Junge brüstete, er sei das gewesen und er hätte sie gefressen, wenn sie ihn nicht mit einem Stock vertrieben hätte.
Er erzählte ihr, er könne sich in einen Wolf verwandeln, habe schon mehrere Hunde und zwei Kinder gerissen, das Hundefleisch schmecke ihm aber nicht so gut. Zwei Freundinnen des Mädchens sagten, dass der Bub immer wieder solche Geschichten erzähle. Auf die Frage, warum er so dunkelhäutig sei, habe er geantwortet, das komme von der Wolfshaut, die ihm ein im Wald angeketteter Mann gegeben habe und mit deren Hilfe er sich jederzeit in einen Wolf oder jedes andere Tier verwandeln könne. Selbst wenn er gerade keine Wolfsgestalt hatte, bewegte sich der Knabe am liebsten auf allen vieren und er behauptete, er sei nicht der Einzige hier in der Gegend, sondern sie seien ein ganzes Rudel. Nach und nach wuchsen ihm richtige Krallen, sogar seine Augen wurden wölfisch. Er machte aus seinem Treiben kein Geheimnis, erzählte, wie er sich bei einem Überfall das fetteste und zarteste von drei Kindern ausgesucht habe, wobei ihm aber der Onkel der drei Geschwister in die Quere gekommen sei. Vor Gericht stellte sich heraus, dass das verletzte Kind wirklich das dickste von den dreien war. Daraufhin führte man ihn durch alle Straßen und Häuser. Ein Mädchen erkannte ihn und zeigte den Beamten die Wunden, die er ihr in Wolfsgestalt beigebracht habe. Das Gericht in Bordeaux urteilte milde, da er unter Tränen darum bat, Gott möge ihm zu einer besseren Lebensweise verhelfen. Man sperrte ihn
in einem
Karmeliterkloster in einen Käfig, wo er sich solange er lebte wie ein Wolf benahm!«
»Grenier. Jean Grenier – wenn ich mich recht entsinne!«
»Wo… woher kennen Sie seinen Namen?«, fragte Aintroux perplex. »So – oder zumindest so ähnlich – soll er tatsächlich geheißen haben! Jetzt, wo Sie es sagen, fällt es mir wieder ein!
Madame Soutier hat den Namen gelegentlich erwähnt!«
»De Lancre schreibt, er habe ihn mehrere Male im Kloster besucht, und berichtet ausführlich über diesen und ähnliche Fälle. Insgesamt hat er der Lycanthropie, den
Tierverwandlungen also, an die hundertfünfzig Seiten gewidmet. Die Geschichte stimmt in großen Zügen mit seinen Schilderungen überein: Grenier sei wie ein Tier auf allen vieren über Gräben
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