Die Lichtfaenger
der nackte Überlebenstrieb den Willen, verdirbt die Hoffnung den Charakter und macht die Furcht zum Schwächling, sodass unter so viel Angst kein Platz mehr ist für die Wahrheit!‹«
Vor seinem inneren Auge traten sie auf, die ihn oftmals so beschäftigten, dass sie ihm noch nachts im Traum erschienen.
Der Hexenkommissar Schultheiß, voll frommem Eifer und gnadenlos, Romeßwinkel aus Köln, borniert und verschlagen, Doktor Höxer aus Werl, aufbrausend und keinen Widerspruch duldend, Kaspar Reinhards, blutrünstig und hasserfüllt, Franz Buirmann, raffgierig und skrupellos. Sie alle waren unterwegs im Land, gut beschäftigt, füllten ihre Taschen mit Blutgeld, ließen ihre Beziehungen spielen wie beispielsweise Schultheiß, der durch die Einheirat in die Familie des kurkölnischen Kanzlers Kemp nach und nach zu einer Reihe von Ämtern gekommen war und, als die Zeit reif gewesen war, einen seiner Söhne nach dem Kurfürsten benannt hatte, worauf Ferdinand von Bayern persönlich die Patenschaft übernommen hatte.
»Aber die Folter… in der peinlichen Halsgerichtsordnung der Carolina gibt es doch eine gesetzliche Regelung, wie die Marter anzuwenden ist!«, warf einer aus der hinteren Reihe ein.
»Richtig. Aber ihre Anwendung und die Auswahl der Mittel sind den Richtern und deren Helfern überlassen. Auch bei der Dauer gibt es Freiräume. Sind schon fünf Minuten wie eine halbe Ewigkeit und selbst für einen Menschen mit eisernem Willen kaum zu ertragen, wie soll dann jemand eine Viertelstunde aushalten? Und selbst die mildesten Richter haben es sich zur Gewohnheit gemacht, die Tortur auf eine ganze oder zwei halbe Stunden anzuwenden. Von den strengen reden wir erst gar nicht. Wer wird nicht lieber sterben und sich mit tausend Lügen von den unmenschlichen Schmerzen loskaufen?«
»Aber sie müssen doch nicht nur in der Tortur, sondern zudem noch freiwillig außerhalb der Marter gestehen! Sie können ja widerrufen!« Es war wieder der junge Syberg, nun sehr kleinlaut und beinahe zögernd.
»Ja. Im Prinzip jedenfalls. Die Richter denken da vielfach ohne schlechtes Gewissen anders. Sie sagen, sie oder er hat unter der Folter zwar gestanden, will sich jetzt jedoch, wo die Schmerzen nachlassen, herausreden. Sie sagen, wenn jemand nach der Folter widerruft, hat er zumindest einmal gelogen.
Entweder während der Tortur – oder während des Widerrufs.
Also, was tun sie? Richtig. Sie unterwerfen ihn nochmals der peinlichen Befragung. Schließlich geht es ja um die Wahrheit!
Wer aber schon in der ersten Tortur gestanden hat, wird in der zweiten erst recht reden! Und außerdem wird der Beschuldigte über Dauer und Intensität der Folter im Unklaren gelassen. Er muss in Angst gehalten werden, darf nicht wissen, wie weit sie gehen. Ich erzähle euch jetzt eine Geschichte. Neulich war ich mit einigen Gerichtspersonen zusammen. Ein scharfsinniger Mann fragte, wie sich jemand befreien könne, der wirklich unschuldig ins Gefängnis gekommen sei. Die Gerichtsleute wanden sich hin und her, her und hin, wussten keine zufrieden stellende Antwort. Als der Mann nicht lockerließ, einigten sie sich schließlich darauf, über Nacht darüber nachzudenken!
Stellt euch das vor! Diese Leute haben schon so viele Scheiterhaufen entzündet, so viele Prozesse geführt, aber sie wissen bis zu dieser Stunde keine Antwort darauf, wie sich ein Unschuldiger aus ihren Händen befreien kann! Und da wundern wir uns, wenn alles voll ist von Hexen? Wundern wir uns lieber über die ungeheuere Blindheit der Menschen und die Dummheit der Gelehrten, aber auch eines Teiles unserer Priesterschaft!«
Das Refektorium des Jesuitenkollegs war ein eher düsterer Raum, nordseitig gelegen, dazu noch mit gelbtrüben Fenstern.
Als Spee zu Mittag den Raum betrat, schienen sich die Mienen einiger Mitbrüder der Umgebung angepasst zu haben. Finstere Ablehnung schlug ihm entgegen, nur widerwillig erwiderten sie seinen Gruß und die, die ihm eigentlich wohlgesonnen waren, wagten nur ein kurzes, verstohlenes Nicken. Wie es aussah, hatte sich der Inhalt seiner Vorlesung bereits herumgesprochen. Er wusste, es gab einige, die ihm seine Professur neideten oder gar ihre Rechtmäßigkeit anzweifelten, da er noch nicht zu den letzten Gelübden zugelassen war, mit denen sich der Orden an ihn band. Das war bestimmt Wasser auf die Mühlen derer, die diesen letzten, endgültigen Schritt zu verhindern suchten. Nach dem Essen nahm ihn Pater Arnold zur Seite: »Friedrich, sei
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