Die Lichtfaenger
Jeder einmal begonnene Prozess wird kein Einzelfall bleiben, sondern sich über Jahre hinziehen und die Zahl der Verurteilten dermaßen anschwellen lassen, dass ganze Dörfer ausgerottet werden. Wie ihr wisst, habe ich einige Zeit in Würzburg und Trier verbracht, dort war es so. In Köln, wo die Postmeisterin Henot hingerichtet wurde, zog ihr Prozess einen ganzen Rattenschwanz weiterer nach. Das war vor zwei Jahren. Und bis heute finden sie dort immer neue Hexen. Die Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Die Hexenplage wird nicht geringer, im Gegenteil. Die Protokolle füllen sich mit immer neuen Namen, die Zahl der Verurteilten wächst derart, dass bis jetzt all diese Prozesse durch einen Machtspruch des Fürsten beendet werden mussten. Noch nie endeten sie von selbst! Das sind Fakten, meine Herren!«
Syberg hatte nur kurz den Kopf eingezogen. Als Spee zu Ende gesprochen hatte, schoss er mit süffisantem Unterton seine nächste Frage ab. »Wenn ich Euch richtig verstehe, dann gibt es also in Wirklichkeit gar keine Hexen?«
Es war eine jener Fragen, die Spee schon öfter gestellt worden waren, entsprungen dem aufrichtigen Wunsch zur Wahrheitsfindung oder aber auch der Hoffnung, ihm daraus zu gegebener Zeit eine Falle stellen zu können. Er hielt sich an das Bibelwort, das da sagte: »Seid klug wie die Schlangen und ohne Falsch wie die Tauben.«
»Ich weiß wohl, dass das von manchen Gelehrten bezweifelt wird. Auch hat es in der Geschichte der Kirche eine Zeit gegeben, in der nicht an Hexensabbate geglaubt wurde, dies sogar als Aberglauben angesehen und mit Strafen belegt wurde. Ich war schon oft in den Kerkern bei der Hexerei Beschuldigten und bin dabei in solche Verwirrung geraten, dass ich kaum mehr wusste, was ich von der ganzen Sache halten sollte. Inzwischen glaube ich, dass es wirklich etliche Zauberer auf der Welt gibt und nur Leichtfertigkeit das leugnen kann. Lest nur nach, was Binsfeld, Del Rio, Bodin, de Lancre und wie sie alle heißen darüber berichten. Doch dass es so viele sein sollen, daran glaube ich – und da bin ich nicht allein – wahrlich nicht. Wieso brennen in Deutschland so viele Scheiterhaufen? Gibt es woanders weniger oder gar keine Zauberer? Glaubt ihr wirklich, alle die Tausende und Abertausende, die in unserem Land in Glut und Asche aufgegangen sind, haben alle diese Verbrechen auch begangen? Ich sage: Unter fünfzig Verurteilten werdet ihr keine fünf, ach was, keine zwei wirklich Schuldigen finden.«
»Aber sie haben es selbst zugegeben, sie haben ja gestanden!«, hielt der junge Syberg dagegen.
»Wieso gestehen sie denn? Weil man ihnen auf die Schliche gekommen ist? Wie, so frage ich, haben die Richter das denn bewerkstelligt? Mit der Kraft des Verstandes, mit dem Zusammentragen wirklicher Beweise? Ich sage: nein, sondern mit nackter, blanker Gewalt! Habt ihr euch schon einmal überlegt, was ihr in der Lage eines dieser Unglücklichen tun würdet? Stellt euch vor, sie peitschen euch aus, zerquetschen eure Beine, ziehen euch an auf den Rücken gefesselten Armen hoch, bis diese aus den Gelenken springen, treiben euch glühende Holzspieße unter die Finger- und die Zehennägel –
und wenn ihr nicht gesteht, was sie euch zur Last legen, fangen sie von vorn an.«
Im Saal war es mucksmäuschenstill. Kein Scharren, kein Rutschen, nicht einmal ein Räuspern. Spee las in ihren betroffenen Gesichtern, dass er sie erreicht hatte.
»Glaubt ihr wirklich, ihr würdet unter diesen Umständen nur die reine Wahrheit sagen? Ich habe schon Männer gesehen, stark wie Bäume, die der Marter nicht standgehalten haben.
Keiner von uns allen hier, mich eingeschlossen, hätte die Kraft, diesen unbeschreiblichen Schmerzen zu widerstehen. Alles würde ich zugeben, jede Frage zu ihrer Zufriedenheit beantworten, selbst wenn am Ende der Scheiterhaufen auf mich wartet. Lieber sterben, als weiter gepeinigt zu werden, schlimmer noch als der Herr am Kreuz. Ich habe sie gesehen, diese Elenden, wie sie sie zugerichtet haben. Kein deutscher Edelmann würde es ertragen, wenn man seinen Jagdhund so zerfleischen würde.« Er machte eine kurze Pause, überlegte.
»Schon Cicero hat gesagt – und Cicero war ein Heide, wusste noch nichts von christlicher Barmherzigkeit – und es meiner Ansicht nach treffend beschrieben, dass die Folter der Gegner der Wahrheit ist. Er schreibt in ›Pro Sylla‹: ›Auf der Folter regiert der Schmerz, er beeinflusst jeden an Leib und Seele, dort herrscht der Richter, da beugt
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