Die Liebe am Nachmittag
die Idee, dass mir seine Hand lästig sein könnte. Schließlich muss ich einen Schritt zurücktreten,um mich seiner Hand zu entledigen. Das kann ich mit einem Literaturagenten machen, aber nicht mit dem Generaldirektor der Bank, denn der legt mir ebenfalls seine Hand freundschaftlich auf die Schulter und erklärt, warum es heutzutage bei aller Sympathie ganz unmöglich ist, einen Privatkredit zu gewähren. Und auch die Hand des Betreibers einer Kleinbühne lässt sich nicht abschütteln,wenn er sie mir lehrmeisterlich auf die Schulter legt: Lachen will das Publikum, mein Lieber, nur lachen, bringen Sie mir in dieser traurigen Welt Einakter, bei denen die Menschen lachen können, platzen vor Lachen. Von einer Vorauszahlung hält er nichts, doch legt er mir als Vorschuss kumpelhaftseine Hand auf die Schulter. Und dieser Mensch ist auch noch ein ganzes Stück jünger als ich. Vielleicht lass ich mir nächste Woche etwas einfallen, bei dem das Publikum vor Lachen platzen muss; wenn ich ihm dann die Handlung beschreibe, gibt er mir vielleicht ein paar Scheine im Voraus. Ich rühre mich nicht unter der aufgelegten Hand. Und sie drückt schwerer als die ganze Last des Lebens. Ich halte mich an seinem Schreibtisch fest, fürchte wegzusacken. Beim Weggehen balle ich die Fäuste in der Tasche meines Überziehers, atme tief mit aufgerissenem Mund, wehre mich gegen den Weinkrampf.
Ich erinnere mich an das, was ich einmal hörte, als wir zu mehreren Kollegen, unser künstlerisches Vorbild unter uns, im Kaffeehaus saßen und ihn die Nacht hindurch getröstet haben; der untadelige arme Mensch erwiderte einem rebellischen jungen Mann, der meinte, man solle diese schreibenden Geschäftemacher unserer Zunft als gewöhnliche Schwindler der Polizei übergeben:
»Empörst du dich auch darüber, mein Junge, dass die Militärkapelle dem Volk nicht Bach, sondern diese lauten, süßlichen Gassenhauer spielt? Alle diese Menschen, denen keine Bildung ihres Geschmacks zuteilgeworden ist, sollen doch auch ihre Musik haben; ein Segen sind jene Couplet- und Operettenschreiber, die ihnen so gefällige Melodien bescheren. Du wunderst dich doch auch nicht darüber, das Franz Lehár ein größeres Publikum hat als Debussy. Die Schreiber solcher Kassenschlager betreiben ein anderes Métier als wir, so musst du es sehen. Darfst nicht neidisch sein auf sie, wie du ja auch den Bäcker nicht beneidest,der ein Eckhaus sein Eigen nennt.«
Ich beneide ihn gar nicht, sondern bewundere ihn. Den Bäcker ebenso wie den Autor eines Kassenschlagers. Bewundere alle, die Geld haben.
Die geschlagenen Schriftsteller pflegen sich über die gefräßigenHaie, die ihre Welterfolge nur so herauskotzen, lustig zu machen. Prägen sich irgendeine dumme Sentenz aus einer Szenenfolge ein, die die Boulevardblätter am Tag der Premiere drucken und zitieren diese wochenlang. So unglaublich es klingen mag, manch ein Verfasser solcher Sensationsstücke tut sich schwer mit der Muttersprache und steht auch mit der Rechtschreibung auf Kriegsfuß. Oft wird darüber geklagt, dass das Theater solche Machwerke gänzlich umschreiben lassen musste,damit sie überhaupt spielbar waren. Man fragt sich, wenn man mit solchen Machern gesprochen hat, verwundert, woher diese Menschen den Mut nehmen, sich an einen Schreibtisch zu setzen.
In der Welt des Geldes trifft man manchmal so verblüffend primitive Menschen und wundert sich, weil sich an ihnen absolut nichts Spitzbübisches, Pfiffiges entdecken lässt. Der eine besitzt eine Bank, der andere residiert im Allerheiligsten eines mächtigen Geldinstituts. Ihnen allen gehören Villen, so groß wie die Imitation von Burg Vajdahunyad im Budapester Stadtwäldchen, und sie lassen wie Landesherren ihre Millionen in der Schweiz hüten. In meiner Arglosigkeit fragte ich einmal einen Wirtschaftsfachmann: Wie ist das möglich, wem hat ein solcher Lackl zu verdanken, dass er nicht auf dem Kutschbock eines Fuhrwerks in Pest sitzen muss? Er gab mir zur Antwort: In erster Linie, mein Lieber, verdankt er es seiner Nase, weil er die richtige Witterung besitzt; außerdem hat er keine Skrupel. Diese gewisse Witterung, meint er, ist etwas, das auch wilde Tiere besitzen. Er wittert, welchen Wert der Dollar oder der Zloty morgen früh in Zürich und in Paris hat, und er wittert, ob der Weizenkurs an der Börse von Chicago rauf- oder runtergehen wird. Er hat diesen Instinkt mitbekommen wie Gigli seine Stimme oder Huberman sein Gehör. Und so besitzen auch die
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