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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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rechtfertigen, dass dem Verlangen nach der grenzenlosen »wahren Liebe« unbedingt Folge geleistet werden muss, wenn auch mit einem aufrichtigen Bedauern über die Zerstörungen, die die damit einhergehenden Entgrenzungen anrichten können.
    Die Erfahrung der transzendenten Dimension der Liebe übt eine magische Macht über die Liebenden aus, schon bei der Sehnsucht danach, erst recht bei ihrer Erfüllung. Die Kräfte, die ihnen aus dem Raum des »Darüberhinaus« zufließen,übersteigen die gewöhnlichen, alltäglichen so sehr, dass sie bereit sind, für die Erfahrung dieser Intensität alles zu tun. Die unbändige Stärke, die sie gewinnen, das Gefühl, sämtlichen Herausforderungen gewachsen zu sein, macht die Unendlichkeitserfahrung unverzichtbar. Angemessen wäre eine Haltung der Demut angesichts der Unverfügbarkeit der Erfahrung, diesem »Gnadenakt« von welcher Instanz auch immer, aber das genaue Gegenteil ist oft der Fall: Sich im Besitz der äußersten Fülle des Sinns zu wähnen, verleitet Menschen zu einer auftrumpfenden Haltung , aus der heraus Andere, die die Erfahrung nicht kennen, als bemitleidenswert »ahnungslos« erscheinen. Bei allen Arten religiöser und spiritueller Erfahrung scheint diese Konsequenz nahezuliegen, die davon zeugt, wie wenig das Religiöse und Spirituelle ausgerechnet diejenigen durchdringt, die »die Anderen« für Ungläubige und Unwissende halten; das gilt für einzelne Individuen ebenso wie für ganze Kulturen. Im Umgang mit Anderen, auch mit dem einen Anderen, der doch zur überwältigenden Erfahrung entscheidend viel beiträgt, kann es in der Folge dazu kommen, alle Formen der Wertschätzung zu vergessen. Die Transzendenz, die so viel größer ist als der einzelne Mensch, hebt ihn und sein Leben auch mühelos aus den Angeln. Er habe »stets zwei Dinge in besonders engem Zusammenspiel gesehen«, meinte Michel de Montaigne am Schluss seiner Essais im religiös überhitzten 16. Jahrhundert: Nämlich »überhimmlisches Denken und unterweltliches Tun«, eine Polarität eigener Art.
    Angesichts der Exzesse, die die Ekstase der Transzendenz mit sich bringen kann, besteht die Askese darin, mit den zeitlichen Grenzen der grenzenlosen Erfahrung einverstanden zu sein und sich eine postekstatische Entgrenzung des Verhaltens zu versagen. Im mystischen Moment des Einsseins hört die Zeitauf zu existieren, im ernüchterten Moment des Entzweitseins beginnt sie hörbar wieder zu ticken. Je mehr zwischen zweien möglich war, desto mehr fühlen sie sich auf die simple Wirklichkeit zurückgeworfen. Was eben noch Indifferenz war, Ununterschiedenheit, wird wieder zur Differenz zwischen ihnen, zur schmerzlichen Empfindung von Unterschieden, kenntlich an der neuerlichen Polarisierung, die sich ganz von selbst einstellt und nach der Einheit wieder Zweiheit erzwingt. Es liegt nahe, Zustände einer atmenden Liebe darin zu sehen und mit dem Hin und Her dazwischen leben zu lernen: Aufgabe einer transzendenten Kunst des Liebens, um das äußerste Glück der Fülle zu realisieren, die Erfüllung der Eudaimonía , die darauf beruht, einen guten Dämon, einen wohlwollenden Boten in sich zu haben, der wie Eros in Platons Symposion zwischen den Dimensionen von Endlichkeit und Unendlichkeit vermitteln kann. Nach der romantischen Unendlichkeitserfahrung fällt es dann leichter, die sehr gewöhnlichen Zeiten zu akzeptieren, aus denen auch die ungewöhnlichste Liebe besteht. Mit dem neuen Vertrauen in ihre Gemeinsamkeit, das die Liebenden gewonnen haben, sind sie bestens gerüstet für den Weg zurück in die Einsamkeit der je eigenen Lebensbewältigung. Die Kräfte, die sie aus der transzendenten Erfahrung schöpfen konnten, helfen ihnen wieder bei der Bewältigung dessen, was für jede Liebe die größte Schwierigkeit darstellt: Das Leben im Alltag.

Pragmatische Romantik:
Die Kunst des Liebens im Alltag
    Gerne würden die Liebenden auf eine Insel übersetzen, auf der sie den Hochgefühlen ihrer Liebe frönen könnten, eineInsel wie Kythira im unendlichen Blau des Mittelmeers, südlich der Halbinsel Peloponnes; die schaumgeborene Aphrodite soll hier dem Meer entstiegen sein. Antoine Watteau, der nie dort war, hat die Einschiffung dorthin gemalt ( L’embarquement pour l‘île de Cythère , 1717, Paris, Louvre; Varianten in Berlin, Schloss Charlottenburg, und Frankfurt am Main, Städel), eine von Melancholie überlagerte Szene, als hätte der Maler geahnt, dass das Paradies anders, als er es darstellt, nicht

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