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Die Liebe atmen lassen

Die Liebe atmen lassen

Titel: Die Liebe atmen lassen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm Schmid
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funktionalen Beziehung und des Lebens ohne jede Beziehung, nicht nur ohne Liebe im engeren Sinne, sondern auch ohne Freundschaft und Kooperation. Bitterkeit entsteht jedoch dann, wenn die ekstatische Erfahrung selbst eine tiefe Enttäuschung hinterlässt, da die Beziehung danach in die alltäglicheWirklichkeit zurückfällt oder trotz aller Anstrengungen endgültig scheitert. Je tiefer sich die Unendlichkeitserfahrung ins Gedächtnis eingräbt, desto schmerzlicher erscheint der Rückfall in die Endlichkeit. Und dennoch ändert selbst ein Verzicht auf die Unendlichkeitserfahrung nichts am Endlichkeitsleiden , denn auch in diesem Fall wird die erstickende Enge des endlichen Lebens erlitten. Der Einzelne selbst muss wählen, welcher Art des Leidens er den Vorzug geben will.
    Gründe der Notwendigkeit, der Freiheit, des Glücks, des Sinns sprechen dafür, sich um Beziehungen zu sorgen, aber es sollte eine kritische Sorge sein, um nicht vormoderne Formen von Beziehung und Bindung unbedacht wieder herzustellen, deren Zwänge doch der Anlass für die kulturelle und individuelle Befreiung davon waren. Wer noch autoritäre Verhältnisse in Familien erlebt hat, wer sich an die »gottgegebene« männliche Vorherrschaft erinnert, wird zu solchen Formen kaum zurückkehren wollen. Um die Beziehungskultur einer anderen Moderne werden sich dennoch nicht fühllose Strukturen bemühen, sondern einfühlsame Individuen, die den Verlust von Beziehungen, somit von Sinn, als andere Konsequenz der Befreiung wahrnehmen. Ihnen wird es wichtig sein, mit der Gründung und Pflege von Beziehungen eine existenzielle Option wahrzunehmen, um wieder Sinn zu gewinnen, nicht um einer Norm Genüge zu tun. Auf die moderne Kultur des Schnitts kann dann vermehrt eine Kultur der Therapie antworten, die sich um die Heilung der Schnittverletzungen bemüht, in erster Linie durch die Pflege ( therapeia im Griechischen), die der Einzelne sich selbst angedeihen lässt, um an sich zu arbeiten und wieder auf Andere zugehen zu können; sodann durch die Arbeit vieler an sich selbst im Rahmen professioneller Angebote der Therapie, bei denen bereits das Setting daraufangelegt ist, Beziehung herzustellen, denn Beziehung tröstet, Beziehung heilt. Beinahe nachrangig erscheinen demgegenüber die Inhalte therapeutischer Gespräche, die gleichwohl wesentlich zur Besinnung auf die Erfahrungen in Beziehungen und zu ihrer Neugestaltung im Einzelnen selbst und zwischen Individuen beitragen.
    Dass Beziehungen in moderner Zeit mehr als je zuvor durch Fluktuation , ein Fließen und Zerfließen, eine Unverbindlichkeit und Wechselhaftigkeit charakterisiert sind, kann nicht durch den Ausschluss dieser Entwicklung, nur durch ihre Integration aufgefangen werden. Mit Veränderungen ist in Beziehungen von Grund auf zu rechnen, immer schon aufgrund des Älterwerdens der Beteiligten, in moderner Zeit jedoch zusätzlich aufgrund von Veränderungen der umgebenden Welt in hohem Tempo, von denen die Individuen mit verändert werden. Die größere Festigkeit, Verbindlichkeit und Dauerhaftigkeit einiger Kernbeziehungen, die für eine andere Moderne wünschenswert erscheint, ist nur zu erreichen, wenn die Beziehungen selbst ein Mindestmaß an Dynamik gewinnen und die Veränderungen der Beteiligten mitvollziehen. Beziehungen zerbrechen am ehesten dann, wenn sie sich jeder Veränderung verweigern und die angestaute Dynamik zu Dynamit wird: Einer will die Veränderungen des Anderen nicht wahrhaben und sperrt sich gegen den vermeintlichen Verrat an der ursprünglichen Gemeinsamkeit, bis es zur Explosion kommt. Vor allem in der Liebe herrscht die Auffassung vor, es müsse sich um die ewig gleiche Beziehung zwischen zwei gegebenen Punkten handeln; die aber gibt es nur in der Geometrie. Mit dem Vorsatz, an der Gedanken- und Erfahrungswelt des jeweils Anderen »dranzubleiben«, um von dessen Veränderungen mit verändert zu werden, arbeiten dieBeteiligten selbst an beweglicheren Beziehungen und halten beharrlicher an ihnen fest. Die Aufgabe wird allerdings schwieriger dadurch, dass es in aller Regel um weit mehr als nur eine Beziehung geht und das gesamte Geflecht von Beziehungen eigene Gesetzmäßigkeiten entwickelt, die aus der Vernetzung von Menschen Verstrickung machen können.

Leben in Konstellationen:
Vernetzung und Verstrickung in Beziehungen
    Wie Sterne, deren Zusammenstehen namengebend war, leben Menschen in Konstellationen (von lateinisch con- , zusammen, und stella , Stern), sternenweit

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