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Die Liebe der anderen

Die Liebe der anderen

Titel: Die Liebe der anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frederique Deghelt
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Gruppe zu machen. Ich habe ein bisschen Angst davor, mit dem hellsichtigen Lucas allein zu sein. Schon als er die Frage stellte, spürte ich seinen prüfenden Blick.
    Ich bin müde. Nach der anfänglichen Euphorie fühle ichmich plötzlich hilflos. Am liebsten würde ich umkehren, aber wohin? Mir fehlt das Zugehörigkeitsgefühl, die Berührungsfläche mit dem Leben, das ängstigt mich. Der letzte Satz von Lucas spukt mir im Kopf, als müsste ich einen verborgenen Sinn darin finden: »Du bist nicht, was du bist. Du bist im Werden.«
    Das ist von Sartre.
    Ich bin nicht sicher, ob ich ihn schon kannte oder ob er mir neu ist, aber nie schien er mir so wahr wie heute.

    In der Pause des Theaterkurses finde ich eine Nachricht von Pablo auf meinem Handy. Ich rufe ihn zurück.
    »Meine Mutter hat angeboten, am Wochenende die Kinder zu nehmen«, berichtet er. »Ich mache ihnen etwas zu essen und fahre sie hin. Wenn du nichts dagegen hast, bleibe ich über Nacht bei meiner Mutter draußen, du bist ja eh verabredet. Ich bin zu müde, sie hinzubringen und gleich wieder nach Paris umzudrehen. Aber morgen früh komme ich wieder. Ich bringe Croissants zum Frühstück mit«.
    Heute Abend bin ich also allein. Pablo hat gesagt »bei meiner Mutter draußen«. Wo ist das: draußen? Kein unbedeutendes Detail, was das alles nach sich ziehen könnte … Daran mag ich gar nicht denken. Hoffentlich überlegt er es sich nicht anders und bittet mich nachzukommen! Jetzt nutze ich aber erst einmal meine Freiheit aus und gehe nach dem Kurs mit den anderen einen trinken. Fast hätte ich gesagt: »mit meinen Freunden vom Theater«, aber der Begriff »Freund« scheint mir etwas voreilig, wenn man jemanden zum ersten Mal sieht.
    Wir gehen zu
Louise
, einem kleinen Lokal in der Nähe. Ob Pablo eine Ahnung hat, dass ich einmal in der Woche auf der Bühne stehe? Dann hätte ich ja gar nicht lügen müssen. Aber wenn er es weiß, warum habe ich dann nicht gleich »Theater« in meinen Kalender geschrieben, sondern bloß dieses kryptische T?
    »Ich muss schon sagen, was für eine Schauspielerin, wenn sie erst mal auf der Bühne steht!«, ruft mir jemand zu. Ich erkenne den jungen Mann wieder, der während des Kurses dazukam und mich »kleine Marie« nannte. »Das war wie eine … Metamorphose. Die liebe kleine Marie ersteht plötzlich als ein hysterisch kreischender Hausdrachen auf, ein Ausbund an Hass und Boshaftigkeit!«
    »Echt interessant«, sagt ein Mädel namens Florence. »Du hast François regelrecht mitgezogen, auch er war nicht wiederzuerkennen. Normalerweise spielt er ja eher das leichte Fach, Typ Herzensbrecher …«
    François protestiert, und die anderen lachen. Zum Abschluss donnert Lucas’ Stimme: »Jouvet sagte, Inszenieren heißt, sich auf den Standpunkt eines Abends und auf den Standpunkt der Ewigkeit zu stellen!«
    Dem Zitat folgt ein kurzes anerkennendes Schweigen. Wenn ich schon nicht wusste, was ich eigentlich in diesem Kurs suche, so weiß ich jetzt wenigstens, was er mir nützen wird. Wie sagte Lucas noch? Spielen heißt, sich seiner Angst zu stellen, den Teil seiner selbst zu suchen, den man nicht kennt. Es fällt mir schwer, das nicht persönlich zu nehmen.

    Als wir die
Louise
verlassen, fährt schon keine Metro mehr. Aber ich habe es nicht weit nach Hause, und die anderen offenbar auch nicht. Zu viert schlendern wir plaudernd durch die Straßen. Dann verlassen uns Florence und Christine, und ich bleibe mit François allein. Eine Weile laufen wir schweigend nebeneinanderher und lauschen dem Geräusch unserer Schritte. Alles ist so seltsam ruhig. François bricht als Erster das Schweigen.
    »Seit unserer Improvisation war ich ein paarmal drauf und dran, dich anzurufen.«
    »Warum hast du es nicht getan?«
    »Ich weiß nicht, ich war unsicher. Ich hatte das Gefühl, dass in dem, was du gesagt hast, etwas Wahres lag. Dein Leidenwar so intensiv. Die Eifersuchtsszene ging zwar von mir aus. Aber es war, als hätte ich auf einen Knopf gedrückt, und dann hast du mich mitgerissen in eine Spirale der Aggression, was eigentlich nicht meine Absicht war. Ich fand dich furchterregend und begehrenswert.«
    Auch ich finde ihn gerade ziemlich begehrenswert.
    Ich mag unser Gespräch über diese eigenartige Improvisation, an die ich mich nicht erinnere. François nimmt mich unvermittelt in den Arm.
    »Marie, komm mit zu mir.« Seine Hände sind sanft, seine Lippen legen sich auf die meinen. Pablo geht mir durch den Kopf, aber ohne

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